Der Schwarze Tod in Europa und das goldene Prag

Von Rüdiger Stix

Krankheiten schreiben Geschichte. Das kennen wir alle aus den Schulbüchern, und natürlich aus den Lehrbüchern der medizinischen Wissenschaften. Dieser Tage erleben wir es alle im eigenen Tagesablauf, was eine Pandemie bedeuten könnte. Wohl das erste Mal in der Geschichte der Menschheit spüren es auch alle Menschen praktisch ziemlich zugleich rund um den gesamten Globus. Zeit also für uns, in unsere eigene Geschichte zu blicken.

Zwei Drittel der Wiener hinweggerafft

Begeben wir uns in die Länder Europas, in die Mitte des alten Reiches, und ins Zentrum der mörderischesten Seuche, die uns jemals heimgesucht hat: Die Pest, der Schwarze Tod, vernichtet von 1347 bis 1350 ganze Länder, mordet bis ins Jahr 1349 zwei Drittel aller Wiener … und macht Prag zur Hauptstadt des Sacrum Imperium: Praga Caput Regni …

Heute werden wir herausgefordert durch ein neues Virus, das, ähnlich der Geflügel- oder der Schweinepest, vermutlich von Tieren auf den Menschen übertragen wird. Bei weitem nicht so ansteckend wie die Pest, aber dennoch: Das Virus lässt uns – bei einem schlimmen Verlauf der Krankheit – in einer schweren Lungenentzündung ersticken.

Wir können bis jetzt offenbar auch nicht viel mehr dagegen tun, als mit Beatmung und intensivmedizinischer Betreuung zu versuchen, lange genug zu überleben – was bei ansonsten halbwegs gesunden Menschen zum Glück meistens recht gut zu funktionieren scheint, auch wenn wir noch zu wenig über die Spätfolgen in der Lunge wissen.

Andere Möglichkeiten scheint es momentan nicht zu geben, zumindest solange wir noch keine Medikamente und vor allem keine wirksame Impfung entwickelt haben. Zum Glück jedoch haben wir in Österreich, Deutschland und in der Schweiz, aber auch in Prag und in Budapest, ausreichend viele Intensivbetten, sodass uns jene Bilder erspart blieben, wie wir sie aus Wuhan, aus Italien oder aus New York sahen.

Erstickungsgefahr für unsere Wirtschaft

Auch hoffen wir alle inständig, dass die Quarantänemaßnahmen nicht unsere Wirtschaft ersticken, und dass die Schuldenblasenpolitik der Zentralbanken aus den letzten Jahren in Frankfurt, in den USA oder in Peking nicht noch einen Schulden-Tsunami auslösen, der die Welle der Pandemie vergleichsweise harmlos erscheinen lassen würde.

Wir erinnern uns aber auch, dass unsere Großeltern viel schlimmere Pandemien überlebt haben: Vor gerade einmal hundert Jahren hat die sogenannte „Spanische Grippe“ mit bis zu 100 Millionen Toten mehr Opfer gefordert als die beiden offiziellen Weltkriege des 20. Jahrhunderts zusammen.

Den Namen hat sie übrigens deshalb, weil die Spanier es als erste gewagt haben, über diese mörderische Seuche trotz der Kriegszensur der USA zu berichten. Natürlich sollen wir dabei nicht vergessen, dass die Millionen an Opfern auch dem Weltkrieg und den Hungerblockaden geschuldet waren, und dass die Opferzahlen der millionenfachen Massenverbrechen auch nach dem Ersten Weltkrieg als der Mutterkatastrophe Europas, mit vier bis acht Millionen durch Stalin Ermordete im Holodomor beginnend, und bis zu den Toten der chinesischen Kulturrevolution, insgesamt nochmals eine ähnliche Größenordnung erreichen.

Steigen wir tiefer in die Geschichte unserer Massen-Katastrophen vor dem zwanzigsten Jahrhundert, so gelangen wir ziemlich genau dreihundert Jahre davor zum Dreißigjährigen Krieg. Er begann 1618 in Prag, und am Ende hatten manche Länder auf dem europäischen Kontinent bis zu zwei Drittel ihrer Menschen verloren durch die wütenden Kriege der Religionen und der europäischen Mächte, beim Kampf um die Vorherrschaft in Europa, im Zentrum des Sacrum Imperium, des Römisch-Deutschen Reiches, dessen Fürsten sich ihre Konfessionen selber festgelegt hatten … „Cuius Regio, eius Religio“.

Alte und neue Seuchen im Reich, in dem die Sonne nicht unterging

Es waren dieselben Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, die zuvor den spanischen Habsburger zum deutschen König und zum römischen Kaiser gewählt haben, Karl V. In seinen Ländern ging die Sonne nicht unter. Denn wenn die Sonne im Abendland den Platz für den Nachthimmel frei machte, brachte sie gleichzeitig ihr Morgenlicht an die Küsten der amerikanischen Kolonien des spanischen Königs – und zu den Menschen, die an alten und neuen Seuchen starben, insbesondere an den Pocken und an Syphilis, auf den Schiffen zurück nach Europa.

Die Kurfürsten des Sacrum Imperium sahen sich jedoch nicht nur von atemberaubenden neuen Kommunikationstechniken überrascht, die es plötzlich ermöglichten, Bücher zu drucken, und erstmals eine gedruckte Bibel entweder mit oder gegen Dr. Martin Luther zu lesen. Die Kurfürsten entschieden auch in der Kaiserwahl nach den Regeln der „Goldenen Bulle“, quasi einer Verfassung des Reiches bis zum Untergang unter dem Druck Napoleons.

Diese Goldene Bulle führt uns jedoch nochmals drei Jahrhunderte zurück. Sie hatte ein anderer, früherer großer Kaiser des späten Mittelalters verhandelt, nämlich Karl IV. als römisch-deutscher Kaiser, der als böhmischer König mit dem Bau des Veitsdomes in Prag begann, später als deutscher König und römischer Kaiser die legendäre Brücke über die Moldau bauen ließ, und der im Jahr des abendländischen Schismas starb, als die lateinische Christenheit sich für viele Jahrzehnte hinter zwei unterschiedlichen Päpsten versammelte.

Wir brauchen unseren geschätzten Leserinnen und Lesern wohl kaum viel Neues über Karl IV. erzählen, denn wir verfolgen und begleiten jedes Jahr die Karlspreisverleihung anlässlich des jährlichen Sudetendeutschen Heimattages.

Es wird auch – hoffentlich – kaum jemanden geben, der nicht wüsste, dass die von Karl IV. in Prag am 7. April 1348 gegründete Universität die erste und damit älteste im gesamten Heiligen Römischen Reich deutscher Nation war, auch wenn ein anderer römisch-deutscher Kaiser schon zuvor eine Universität gestiftet hatte, nämlich der legendäre Hohenstaufer in Neapel.

Natürlich ist die Karlsuniversität damit auch die älteste deutschsprachige Universität der Welt, und selbstverständlich auch die älteste tschechische … „Praga Caput Regni“, also „Prag ist das Haupt des Reiches“, des Sacrum Imperium, und dies fast exakt am Höhepunkt der insgesamt schlimmsten Katastrophe Europas überhaupt, wenn wir die Zahl der Getöteten in Relation zur Größe der damaligen Bevölkerung setzen.

Wahrscheinlich kostete der Schwarze Tod, die mörderische Pestepidemie mit dem Bazillus Yersinia pestis, zumindest in Süd- und in Westeuropa ca. zwei Drittel der Menschen das Leben, und diesmal waren die Toten keine Begleiter von großen Kriegen, wie dreihundert Jahre später im Dreißigjährigen Krieg, oder nochmals dreihundert Jahre danach, ab dem Ersten Weltkrieg mit der Spanischen Grippe aus den amerikanischen Lazaretten.

Wohl auch bereits Biowaffen

Die Pest kam aus Kleinasien, in den Flöhen von Wanderratten, und wohl auch als Biowaffe: es war nicht unbekannt, Pestleichen in belagerte Städte zu katapultieren, wie dies auch im belagerten Kaffa geschah. Die fliehenden Genuesen hatten dann die Pest an Bord, und der Schwarze Tod wütete durch Europa.

Begünstigt wurde das große Sterben jedoch durch etwas, was wir heute die Kleine Eiszeit nennen. Es gab Hungerjahre zuvor, und im Jahre 1343 waren die Überschwemmungen am Rhein und an der Donau so hoch, dass man in den Kölner Dom mit einem Boot einfahren konnte.

Die Gelehrten in Paris vermuteten eine ungünstige Konstellation von Planeten als Ursache. Religiöser Wahn begünstigte Prozessionen von Flagellanten und waren der Vorwand, die jüdischen Gemeinden, beginnend Basel und entlang des Rheins, grausamst zu verfolgen, nachdem den Opfern unter Folter das Geständnis der Brunnenvergiftung abgepresst worden war. Niemand wusste, was wirklich die Ursache war, und was gegen die Seuche helfen könnte.

Allerdings wurde beobachtet, dass man sich an Kranken anstecken konnte, und es wurden deshalb die Häuser der Opfer markiert und ihr Hausrat verbrannt – und es wurden natürlich bereits damals Quarantänemaßnahmen versucht.

Vielleicht ist dies auch der Grund, warum die Pestwelle von Süden und dann über den Westen her kommend, nicht bis nach Warschau gelangte, und vielleicht auch der Grund, warum sie die Residenzstadt des Kaisers praktisch verschonte.

Wir aber wissen heute, dass Quarantäne wirkt, und dass jeder, der die Geschichte verdrängt, auch in Gefahr ist, die Geschichte wiederholen zu müssen.

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