Sittenverfall in der Politik

Von Gerulf Stix

Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer wurde also am ÖVP-Parteitag mit 100 % der Stimmen zum neuen Parteiobmann gewählt. Er hat sich wohl selber gewählt, denn anders kämen 100 % nach Adam Riese ja nicht zustande. Kein schönes Bild für Nehammer. Abgesehen davon, dass er bei seinen Auftritten und Handlungen ziemlich durchschnittlich wirkt, trüben noch ein paar andere Flecken sein Bild. Zu nennen sind nicht allein die Rücktritte der beiden Damen Köstinger und Schramböck, sondern er selbst steht im Dämmerlicht merkwürdiger Personalentscheidungen in seiner Regierung, verschwiegener Parteispenden und fragwürdiger Begebenheiten, in die auch seine Frau verwickelt ist, wenn man den Zeitungen Glauben schenkt. Van der Bellen, der jüngst seine Wiederkandidatur bei der Wahl des Bundespräsidenten ankündigte, werden 69 (!) Angelobungen nachgesagt. Das spricht Bände.
Hier interessieren natürlich hauptsächlich die politischen Seiten von Nehammer und die sind punktuell schon hinterfragenswert.

Sein Blitzbesuch in Russland spielt da eher eine untergeordnete Rolle, obwohl die allgemein diskutierte Abhängigkeit der EU und damit auch Österreichs vom russischen Erdgas im Nachhinein dem Besuch etwas mehr als den Charakter einer eher verunglückten PR-Aktion gibt. Als ich noch ein kleiner Oppositionsabgeordneter war und die Energiefragen (für die sich weder die Medien noch sonst die Allgemeinheit interessierten) zum damaligen Handelsminister Staribacher ressortierten, fragte ich diesen im Handelsausschuss einmal, inwieweit die russischen Gaslieferungen nicht eine Abhängigkeit befürchten ließen?

Staribachers Antwort habe ich mir sinngemäß gemerkt: „Die Russen liefern verlässlich, oder sie kommen selbst.“ Allgemeines Gelächter. Rund 40 Jahre später lacht niemand mehr.
Europa will sich gegenwärtig aus der Abhängigkeit vom russischen Gas befreien? Erstens geht das sehr schwer, und zweitens wird jede Alternative nur zu erheblich höheren Kosten möglich sein. Wir Europäer werden daher so oder so einen hohen Preis für die Parteinahme im Ukrainekrieg bezahlen. Es sei nochmals festgehalten: In der Ukraine geht es um einen brutalen Machtkampf zwischen Russland und den USA, vertreten durch die NATO.

Innenpolitisch wiegt weit schwerer, dass der neue ÖVP-Parteiobmann Nehammer in der Nachfolge des zurückgetretenen Sebastian Kurz steht. Ursprünglich von Kurz als dessen Gefolgsmann herangeholt, muss Nehammer nun die politischen Scherben, die Kurz überall hinterlassen hat, beseitigen. Vor allem muss Nehammer die „neue“ ÖVP wieder zur „alten“ ummodeln, was ihm augenscheinlich ganz gut gelingt, weil in Wirklichkeit die neue ÖVP stets die alte ÖVP geblieben ist.

Die Sternschnuppe Sebastian Kurz

Der politisch hochtalentierte Schönredner Sebastian Kurz hat mit seinen wohlgedrechselten Phrasen nicht nur die „bürgerlichen Wähler“ getäuscht und auf diese Weise große Wahlerfolge für die ÖVP erzielt, sondern er hat auch die eigene Partei eingewickelt und schamlos seine überwiegend jugendlichen Gefolgsleute „richtig“ platziert. Das tat er gekonnt. Nebenbei verdoppelte (!) er den Werbeaufwand seiner Regierung und setzte auf diese Weise die den Steuerzahlern entzogenen Gelder für seine hochentwickelte „Message Control“ ein. Klarerweise benötigte Kurz für seine doppelbödige Politik die bewährten Praktiken seiner „alten“ Partei, der er nur äußerlich den türkisen Mantel des „Neuen“ umhängte. Kein Wunder, dass diese Praxis unter den gnadenlosen Angriffen der ausgebooteten SPÖ (und etwas versteckter der Sozialpartner), die sich dafür nicht zuletzt mancher Institutionen der Justiz bediente, Schiffbruch erlitt.

Wie eine Sternschnuppe ist Sebastian Kurz mittlerweile verglüht. Ursprünglich Gefolgsmann von Kurz, hat Karl Nehammer jetzt die Trümmer dieser Politik geerbt. Die alte ÖVP steht entlarvt da. Der berühmte Unterausschuss im Parlament wird der lawinenartigen Flut an Korruptionsverdächtigungen und -praktiken sowie an Chats kaum Herr. Und die schier uferlosen Ermittlungen der Justiz werden diese noch einige Jahre lang beschäftigen. Angesichts dieser Situation ist es ebenfalls kein Wunder, dass das Vertrauen der Bürger ganz allgemein in die Politik und speziell in die der Volksparteien auf einem Tiefpunkt angelangt ist.

Die so genannten Volksparteien waren einmal groß. Inzwischen sind sie in ganz Europa geschrumpft. In Österreich sieht die aktuelle Sonntagsfrage die ÖVP bei 23 %. Dafür sprießen jede Menge Kleinparteien hervor – manche wie die MFG verdanken sich rein tagespolitisch aktuellen Problemen – und verleihen gerade dadurch der tiefsitzenden Verärgerung der Wähler demokratischen Ausdruck. Es wäre freilich ein Irrtum, wollte man daraus auf die Intelligenz des Wahlvolkes schließen. Wovon bei der Masse der Wähler leider auszugehen ist, hat ein anonymer Einsender namens F. W. in Reime gefasst:

Die manipulierte Masse
So ist es wahrscheinlich schon immer gewesen,
dass wenige Menschen nur vielfältig lesen,
so breites Wissen ihr Eigen dann nennen
und folglich oft böse Entwicklung erkennen.
Die Massen es aber gar nicht erfassen
wie blind, ohne Denken sie lenken sich lassen.
Man frönt dem Vergnügen, will Sonne nur sehen
und sieht im Dunkeln das Böse nicht stehen.
Der Mahner, so lehrt die gesamte Geschichte,
sieht vieles realer, in kritischem Lichte
und wird verspottet, nur selten gehört,
weil kritisches Denken Vergnügen nur stört.

Wir wollten diese Reime schon in der Zitaten-Truhe (siehe Lesestück Nr. 6) bringen, haben aber das Gedicht von S. Koller über die Corona-Maßnahmen dann doch vorgezogen.

Falls dies überhaupt als Trost angesehen werden kann, dann im günstigsten Fall als schwacher: Politik war nie anders! Jeder genauere Blick auf die Geschichte des Altertums wie des Mittelalters belegt diese Erkenntnis. Die TV-Serie „Game of Thrones“ zeigt das durchaus realistisch, wenngleich das Drehbuch natürlich erdacht ist.

Übrigens zum Thema Corona-Pandemie, über welches wir ausführlich geschrieben haben, noch ein kleiner Nachtrag: Von Sebastian Kurz ist die Aussage „Testen, testen, testen“ verbürgt. Dazu eine offizielle Zahl jüngsten Datums: Das kleine Österreich hat 15 Mal so viel getestet wie das große Deutschland, ohne ein besseres Gesamtergebnis zu erzielen. Damit ist zur so genannten Pandemie eigentlich alles gesagt.

Die Inflation wird rasant weitergehen

Dass die Wirtschaft schwächelt, ist nach bisher drei Lockdowns in Österreich (Schweiz: ein Lockdown, Schweden im gleichen Zeitraum null) nicht zu verwundern. Während die Betriebe wieder volle Fahrt aufnehmen, zahlen die Konsumenten die Zeche. Natürlich verschärft der Ukrainekrieg die Situation enorm. Er dient aber zugleich als Ausrede für die Inflation, für die der Grundstein lange davor in der Bekämpfung der hysterisch orchestrierten Corona-Pandemie gelegt wurde. Mit Hilfe der EZB gaben die meisten europäischen Staaten, darunter auch Österreich, Abermilliarden Euro unter dem Titel „Pandemie-Maßnahmen“ aus – Gelder, die die Staaten gar nicht hatten. Die Genius-Briefe haben zeitgerecht ausführlich darüber berichtet[1]. Auch die heute überall zutage tretende Inflation wurde in den Genius-Lesestücken vorausgesagt. Und weil eben der Grundstein für die heutige Inflation längst durch eine falsche Finanz- und Pandemiepolitik gelegt wurde, ist die heutzutage von allen politischen Seiten lauthals verlangte Inflationsbekämpfung zwar populär, aber leider nahezu wirkungslos. Alle Versuche, die hochschießende Preisentwicklung zu stoppen, gar die Preise administrativ zu deckeln, wie das mit den hohen Mieten in Berlin versucht wurde, oder wenigstens durch staatliche Zahlungen zu konterkarieren, gleichen einer bloßen Symptomkur. Jahrelang falsche Politik rächt sich einmal. Daran ist kaum zu rütteln.

Die Bundesregierung agiert in einem politischen Trümmerfeld

Allen offiziellen Behauptungen entgegen, steht Österreich trotz seiner schöngeredeten politischen Maßnahmen in der Pandemie-Bekämpfung, bei der Abwehr der Inflation, bei der Bevorratung von Treibstoffen und Energie (Gas) nicht gut da. Das belegt jeder Vergleich mit anderen europäischen Ländern. Wenn nur ein einziges Beispiel herausgehoben werden soll, dann ist es das Trauerspiel um die Impfpflicht. Österreich hat als einziges Land in Europa zuerst eine Impfpflicht durch Gesetz eingeführt, dann wieder ausgesetzt, bevor sie schlagend wurde, und schließlich doch, wenn auch zögerlich, anderen Staaten folgend die meisten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung abgebaut. Nur die FPÖ hat als einzige Partei konsequent an ihrer Ablehnung einer konkreten Impfpflicht festgehalten. Hingegen hat sich die Bundesregierung sowohl gegenüber ihren Staatsbürgern wie auch international blamiert.

Ein anderes markantes Beispiel für weit zurückliegende Ursachen der Inflation sind die in Mitteleuropa rasant steigenden Mieten. „Leistbares Wohnen“ ist als Schlagwort praktisch bei allen Parteien en vogue. Die tagespolitischen Vorschläge von Mietpreisdeckelungen bis Baulandbewirtschaftung und Verbot von Freizeitwohnsitzen überschlagen sich. Aber den Zusammenhang mit der „Willkommenskultur“ stellen nicht einmal die so genannten Rechtsparteien her! Ein ganz einfaches Zahlenbeispiel soll das zeigen: Österreich hatte vor einer Lebensspanne rund 6 Millionen Einwohner, heute aber 9 Millionen Einwohner. Dieser 50prozentige Zuwachs kam aber nicht durch Geburtenüberschuss der Einheimischen, sondern nur durch Masseneinwanderung und die Kinderzahl der Immigranten zustande!

Wie soll sich das mit den Wohnungen ausgehen? Noch dazu bleibt das Bauland begrenzt; es wird sogar noch durch Straßenbau udglm. verringert. Weil die Genius-Lesestücke in Tirol erscheinen, sei dieses Bundesland hier extra erwähnt: Die Einwohnerzahl Tirols hat sich in der gleichen Lebensspanne verdoppelt, d. h. von rund 400.000 auf rund 800.000 erhöht! Wie soll sich diese falsche, seit vielen Jahren betriebene „Willkommenskultur“ da günstig beim Wohnen auswirken? Masseneinwanderung und „leistbares Wohnen“ passen einfach nicht zusammen!

Betrachtet man alles zusammengenommen, so ergibt sich ein insgesamt sehr krisenhaftes Bild der aktuellen Politik. Die amtierende schwarz-grüne Regierungskoalition wird der anstehenden Fülle an Aufgaben einfach nicht Herr. Nehammer ist ein schwacher Bundeskanzler, und die Grünen als Koalitionspartner erweisen sich teils als unfähig, teils als Verräter an ihren eigenen Grundsätzen. Ein Trauerspiel insgesamt – nicht nur für Österreich, sondern für Europa als Ganzes.

Anmerkung:

Wenn Ihnen dieser Artikel besonders gefallen hat, können Sie uns gern eine kleine Spende überweisen: An die Genius-Gesellschaft für freiheitliches Denken, Wien, IBAN: AT28 6000 0000 9207 5830 BIC: OPSKATWW. Auch über kleine Beträge wie € 20,– freuen wir uns und sagen ein herzliches Dankeschön.

Bildquelle:

  • hans-eiskonen-qTxwKHZwl6M-unsplash: Hans Eiskonen via Unsplash

About the author

de_ATGerman