Über die Frühgermanen

Wolfram Euler und Konrad Badenheuer, „Sprache und Herkunft der Germanen – Rekonstruktion des Frühgermanischen vor der ersten Lautverschiebung“, Verlag Inspiration Un Limited, Berlin/London 2021, gebunden 271 Seiten

Eine Buchbesprechung von Gerulf Stix

Bei diesem wissenschaftlichen Werk handelt es sich zwar nur um die 2. Auflage einer bereits 2009 erschienenen Arbeit, aber sie wurde wesentlich überarbeitet und praktisch ausgedehnt. Die Ausgliederung des Germanischen aus dem westlichen Indogermanisch ist zwar primär ein Problem der Sprachenwissenschaft und wird daher auch mit wissenschaftlicher Methodik und Akribie behandelt, betrifft jedoch die gesamte Geschichte der Germanen. Da die erste Lautverschiebung des Frühgermanischen im 4. oder 5. Jahrhundert v. Chr. stattfand, wird auch der Siedlungsraum der germanischen Stämme von damals von dieser Sprachentwicklung betroffen. Hinsichtlich der überlieferten Wanderungsbewegungen der Stämme ist das von Relevanz.

Im alpinen Raum tauchen geschichtlich wie auch in der Sage im Zuge des Zusammenbruches des Römischen Weltreiches die Goten auf. Der Sagengestalt des Dietrich von Bern (Verona) entspricht bekanntlich die geschichtliche Person des Gotenkönigs Theoderich, der in Ravenna begraben liegt. Im Nibelungenlied verschmelzen der Untergang der Burgunder, der Kampf an Etzels (Attila) Hof und die Rolle, die Dietrich von Bern dabei spielt, zu einem sagenhaft dargestellten Knäuel. Das nur zur Erläuterung.

Wichtig in diesem Zusammenhang erscheint im vorliegenden Buch das folgende Zitat: „Somit beträgt der hier durch Rekonstruktion zu überbrückende, undokumentierte Zeitraum vom Frühgermanischen bis zum Gotischen nicht mehr 400, sondern mindestens 600 Jahre.“ (Seite 236). Ungefähr in diese Zeit fallen auch die großen Wanderungsbewegungen der Slawen im 5. und 6. Jahrhundert n. d. ZW.

Im Allgemeinen wird davon auszugehen sein, dass der ursprüngliche Siedlungsraum der Germanen Nordeuropa und der Ostseeraum war. Für die Goten ist der Ostseeraum geschichtlich überliefert. Über die Ukraine, wo sie von Kiew aus die Begründer Russlands waren (Rurik), wanderten sie im Laufe der Zeit bis zum Schwarzen Meer. Von dort wurden sie von den Hunnen nach Westen abgedrängt. Später wurden die Goten teilweise den Hunnen sogar tributpflichtig. Nur um einem häufigen Missverständnis vorzubeugen, sei hier angemerkt, dass die heutigen Ungarn keineswegs Nachkommen der untergegangenen Hunnen sind, sondern als Nachfolger der späteren Madjaren eine gänzlich eigene Geschichte aufweisen.

Obschon das Buch in erster Linie wohl Sprachwissenschafter interessieren wird, zeichnet es ein genaueres Bild der Vorgeschichte bis zum Zusammenbruch des Römerreiches. Nicht von Ungefähr verwenden die Verfasser den Begriff des „Frühgermanischen“ anstelle des „Protogermanischen“. Dies führt zu einer größeren Klarheit.

Jeder Lateinschüler kennt Cäsars Buch über den „Gallischen Krieg“. Erst Cäsar unterschied zwischen Kelten und Germanen. Vor Cäsar machten die Römer kaum einen Unterschied zwischen keltischen und germanischen Stämmen. Dabei waren die Römer schon früher mit den germanischen Stämmen der Kimbern und Teutonen militärisch zusammengestoßen, wobei sie empfindliche Niederlagen einstecken mussten. Bis heute ist für den ganzen mitteleuropäischen Raum nicht geklärt, inwieweit dieser keltisch oder germanisch besiedelt war. Viele Anzeichen sprechen für eine gemeinsame Besiedelung, die vermutlich dynamisch wechselhaft und nicht immer friedlich verlief. Der Zufallsfund des „Ötzi“, der vor gut 5.000 Jahren lebte, belegt die Besiedelung des Alpenraumes.

Wichtig in diesem Zusammenhang ist die Zusammenarbeit zwischen Archäologie und Sprachwissenschaft. Die jüngeren Ausgrabungen prunkvoll ausgestatteter Keltengräber in Deutschland belegen die Wichtigkeit dieser Forschungen.

Für die Geschichte Europas ist die Zeit vor der großen Völkerwanderung und dem Zusammenbruch des Weströmischen Reiches bedeutsam. Was sich damals abspielte, liegt nach wie vor im Dunkel der Geschichte. Nur einzelne Abschnitte sind einigermaßen durch die Forschung, dem tastenden Lichtkegel einer Taschenlampe vergleichbar, geklärt. Jedenfalls beginnt Europa – einer griechischen Sagengestalt nachgebildet – lange vor Jesu Geburt, die bekanntlich im Morgenland stattfand. Ab dem ungefähr 6. Jahrhundert nach Christi Geburt begann das Christentum Europa zu prägen. Gegenwärtig erleben wir seinen allmählichen Bedeutungsverlust. Das vorliegende Buch schließt eine Lücke von Seiten der Linguistik, der Sprachwissenschaft, und ist ein wissenschaftlicher Beitrag zur Frühgeschichte Europas.

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