Überraschende Wahlergebnisse in Deutschland und Österreich

Von Gerulf Stix

Die Spitzenkandidaten haben ihre jeweiligen Parteien mit hinauf oder mit heruntergezogen. Abgesehen von regionalen Besonderheiten eint diese Beobachtung die an sich überraschenden Wahlergebnisse in Deutschland und Österreich. Ansonsten unterscheiden sich die Ergebnisse der Bundestags-, Landtags- und Gemeinderatswahlen deutlich voneinander. Zuerst sei Deutschland betrachtet, erstens weil es sich um Bundestagswahlen und zweitens um eine Kanzlerwahl nach der Langzeitkanzlerin Angela Merkel, die unter anderem auch die CDU herunter gewirtschaftet hat, handelte.

Die Persönlichkeitswahl um die Kanzlerschaft hat Olaf Scholz gewonnen. Er hat die SPD mit sich hinaufgezogen (25,7 %). Scholz hat somit den CDU-Spitzenkandidaten Armin Laschet überrundet und damit die Persönlichkeitswahl für das Kanzleramt gewonnen. Auch Laschet hat die CDU mit hinabgezogen und ihr mit 24,1 Prozent das schlechteste Ergebnis aller Zeiten geliefert. Bleibt festzuhalten: Weder SPD noch CDU sind heute noch das, was man einmal als „die Volksparteien“ bezeichnete. Ob Olaf Scholz tatsächlich Bundeskanzler der BRD wird oder vielleicht doch noch der eigentliche Wahlverlierer Armin Laschet, bleibt offen. Die erst anhebenden Koalitionsverhandlungen ermöglichen beide Varianten. Eine dunkelrot-rot-grüne Koalition ist dank des Absturzes der Linken auf 5 % technisch unmöglich geworden. Auch der Absturz der Linken (frühere Kommunisten) könnte mit der schwachen Ausstrahlung ihrer Spitzenkandidatin zusammenhängen.

An Stärke hat die FDP gewonnen, die auf 11,5 % zulegen konnte und in den Koalitionsgesprächen sowohl mit Laschet als auch mit Scholz eine Koalition bilden kann. Die FDP wird also zur „Kanzler-Macherin“. Die Grünen sind mit 14,5 % unter ihren Erwartungen geblieben. Obgleich sie deutliche Zugewinne erzielten, hat sie der Absturz Annalena Baerbocks von der (theoretischen) Kanzlerkandidatin zu einer „Ferner liefen-Kandidatin“ in ihrem möglichen Wachstum eingebremst. Die Grünen könnten – nach dem mehrfachen Beispiel in Österreich – mit Laschet koalieren, während deren Basis wohl Scholz bevorzugen würde. Insgesamt könnten die Grünen vermutlich mit beiden Kanzlerkandidaten regieren. Hingegen ist die FDP erkennbar näher bei Laschets Wirtschaftsvorstellungen, was für die FDP möglicherweise entscheidend ist, nicht zuletzt wegen ihrer Großspender. Wenn die FDP und/oder die Grünen aber zu hoch pokern, könnte letzten Endes doch eine zwar ungeliebte „Groko“ entstehen, also eine rot-schwarze große Koalition. Im Falle einer „Jamaika-Koalition (schwarz-grün-gelb) könnte Deutschland vielleicht mit einem anderen Mann als seinem Kanzler aufwachen, als es der Wähler nach der Persönlichkeit des Kanzlerkandidaten eigentlich gewollt hatte.

Die AfD hat zwar geringfügig verloren, steht jetzt bei 10,3 %, ist aber stabil geblieben. Sie muss angesichts der undemokratischen Verweigerungshaltung der „koalitionsfähigen“ anderen Parteien auf Zeit spielen. Ihre Stunde wird kommen, sofern die AfD als Partei so lange durchhält.

Ein Wort noch zu den so genannten Wechselwählern. Im Großen und Ganzen sind die Wähler und Wählerinnen im Vergleich zu früher beweglicher geworden. Die Wechselstromanalysen belegen, dass bei allen Parteien die Stammwählerschaft deutlich zurück geht. Eine auf die Spitzenkandidaten abstellende Wahlanalyse zeigt aber auch, dass sich die Wechselwähler häufiger nach der jeweiligen Spitzenpersönlichkeit entscheiden. Echte Demokraten beruhigt das. Die Grenzen eines so genannten Parteien-Staates werden am Horizont sichtbar. Wie immer auch diese Entwicklung beurteilt werden mag, eines macht sie deutlich: Das Ende der großen Volksparteien zeichnet sich ab.

Österreich: Oberösterreich und Graz – große Unterschiede

Die Landtagswahlen gewann der ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer mit 31,7 % bei geringen Zugewinnen. Anders als sein Grazer Bürgermeister-Kollege, der nach dem schier unglaublichen Absturz der ÖVP auf fast 26 % zurücktrat, konnte Stelzer gut halten. Graz wir noch gesondert zu behandeln sein. Nur weil Thomas Stelzer ein guter und engagierter Nachfolger des früheren Landeshauptmannes Pühringer ist, konnte er seine Partei vor einem Desaster bewahren, aber seine Hoffnung, der ÖVP wenigstens die Marke von 4o Prozent zu erringen, war vergebens. Immerhin konnte Stelzer seinen Führungsanspruch klar untermauern. Weder in Linz noch in Graz war ein besonderer Bonus des Bundeskanzlers Sebastian Kurz zu verspüren. Doch auch die SPÖ konnte weder in Oberösterreich noch in Graz deutlich punkten. Weder Rendi-Wagner als Bundesvorsitzende der SPÖ noch die oberösterreichische Spitzenkandidatin der SPÖ Birgit Gersdorfer zeichneten sich durch überdurchschnittliche Anziehungskraft aus. Die Sozialdemokraten schafften eine mühsame Bestandserhaltung bei nur leichten Zugewinnen, aber nicht mehr. Weder ÖVP noch SPÖ kommen an die Maßstäbe früherer „Volksparteien“ heran.
Die FPÖ konnte trotz erheblicher Verluste den zweiten Platz in Oberösterreich bewahren. Mit 19,8 % konnte sich der erklärte Realist Haimbuchner angesichts eines Stimmenverlustes von 10,5 % aus einem Traumergebnis, das unter völlig anderen politischen Umständen im Jahre 2015 erzielt worden war, relativ gut halten. Jedenfalls sicherte er vor SPÖ und den Grünen den Freiheitlichen Platz 2 und damit vermutlich auch die Fortsetzung der schwarz-blauen Regierungskoalition in OÖ.

Was auffällt, ist das gute Abschneiden einer neuen Partei. Die MFG (Mensch — Freiheit — Grundrechte) unter ihrem Spitzenmann Joachim Aigner zog mit ihren 6,7 % auf Anhieb in der Landtag ein. Die MFG operierte einseitig mit der Eigenverantwortung gegen einen drohenden Impfzwang (Corona). Es bleibt müßig, darüber zu diskutieren, ob der Bundesobmann der FPÖ mit der Betonung der gleichen Aussage als der immerhin offiziellen Linie der FPÖ nicht mehr für die Freiheitlichen in OÖ erreichen hätte können, als mit seinem (durch Fakten belegten) einseitigen Kampf gegen das Covid19-Impfen überhaupt. Impfgegner kommen aus allen Richtungen und keineswegs nur aus den „rechten“ Parteien. So gesehen konnte auch die ÖVP bei den Wählern der MFG nicht punkten.

Die Grünen taumeln ihrem Höhepunkt entgegen

Obgleich die Grünen in Deutschland unter ihren Erwartungen blieben, erzielten sie immerhin 14,5 % und überflügelten damit sowohl die AfD als auch die FDP. Hingegen schafften die Grünen in Oberösterreich gerade einmal 12,2 %. Ihr Spitzenkandidat Stefan Kaineder machte keinen großen Stich, wenngleich er das zeitgeistige Thema des Klimawandels strapazierte. In Linz erzielten die Grünen mehr als im Land, nämlich 16,4 %. Mehr noch die Grünen in Graz. Dort erreichten sie nach einem kräftigen Zuwachs sogar 17,3 %.

Nimmt man das grüne Ergebnis der Nationalratswahl 2019, bei der die Partei ihr bestes Ergebnis erreichte, hinzu, so liegen die Grünen österreichweit derzeit bei 13,9 %. Es darf daher vermutet werden, dass die Grünen bei etwa 17–18 Prozent ihren Plafonds erreichen.
Dabei verleiht ihnen der Zeitgeist enormen Rückenwind, während derselbe Wind den Freiheitlichen kräftig ins Gesicht bläst. Während die Grünen auf dem die Medien beherrschenden Thema des „Klimawandels“ reiten, müssen sich die Freiheitlichen andauernd gegen den so genannten „Kampf gegen Rechts“ wehren. Trotzdem behauptet sich die FPÖ, während die Grünen taumeln. Trotz Unterstützung durch den Zeitgeist schaffen es die Grünen kaum, ihre lautstark verkündeten Ziele mit der Realität, geschweige denn mit ihrer „Basis“ in Einklang zu bringen. Ob die Grünen als Partei jene FPÖ, die seit weit über 100 Jahren aus ihren nationalliberalen Wurzeln schöpfen kann, überflügeln oder gar langfristig überleben werden, erscheint ungewiss. Verra qui vivra.

Der Sonderfall Graz

Der dortige und von allen unerwartete Sieg der Kommunisten, die in der Stadt Graz nach 20 % jetzt fast 29 % erreichten, ist nicht zuletzt der sehr guten Arbeit und der persönlichen Ausstrahlung ihrer Spitzenkandidatin Elke Kahr zu verdanken.

Wohl nur wenige waren nicht überrascht vom Ausmaß, in dem die Kommunisten die Grazer Gemeinderatswahlen gewannen: 28,84 Prozent der Wähler (Wahlbeteiligung 53 Prozent) in Österreichs zweitgrößter Stadt votierten nicht nur für die 59jährige Stadträtin Elke Kahr, die medienwirksam von ihrem monatlichen 6.000-Euro-Stadtratsgehalt 4.050 Euro an Bedürftige weitergibt, sondern auch für jene Partei, die vollmundig „Geht’s den Flüchtlingen gut, geht’s uns allen gut“ plakatierte und im Wahlprogramm die unbegrenzte Aufnahme illegaler Migranten stehen hat.

Die Austro-KPÖ, bislang zweitstärkste Fraktion in der Murmetropole, zertrümmerte die regierende ÖVP geradezu und veranlasste deren Bürgermeister Siegfried Nagl noch am Wahlabend zum Rücktritt.
Die Grazer haben nun, nachdem sie in der Vergangenheit die Parteienpalette weitgehend „durchprobiert“ hatten – etwa die SPÖ mit Bürgermeister Gustav Scherbaum (1960–1973), die FPÖ mit Bürgermeister DDr. Alexander Götz (1973–1983) und zuletzt die ÖVP mit Bürgermeister Siegfried Nagl (2003–2021), mit der Kommunistin Elke Kahr potenziell eine vierte Stadtführungs-Option.

Kahr signalisierte zwar versteckt ihr Liebäugeln mit dem Amt des Bürgermeisters, ließ bis Redaktionsschluss aber offen, ob sie tatsächlich Bürgermeisterin in „Stalingraz“ werden wolle. Eine KPÖ-ÖVP-Koalition haben beide Seiten ausgeschlossen. Möglich wäre, dass es mit Hilfe der weiter erstarkten Grünen (17,32 Prozent) und der marginalisierten Sozialdemokraten (9,53 Prozent) Rot-Rot-Grün in Graz geben könnte.
In einzelnen Grazer Stadtbezirken scheint das der Wähler zu wollen: In der Innenstadt sowie in den Nobelbezirken St. Leonhard und Gleisdorf übersprangen die Kommunisten – zum Teil deutlich – die 30-Prozent-Marke, ganz zu schweigen vom „bunten“ und kriminalitätsdurchwachsenen Bezirk Gries mit 37,8 Prozent KP-Stimmen.

Mario Eustacchio, bisher blauer Vizebürgermeister und ebenfalls – wohl unverdienter – Wahlverlierer, kommentierte trocken: „Wir (Grazer) rutschen damit gewaltig nach links und machen uns zum Gelächter in ganz Europa.“ Die FPÖ werde eine starke und scharfe Opposition sein und in fünf Jahren würden die Karten neu gemischt. Kleine blaue Hoffnungsschimmer bilden die Bezirke Puntigam, Gösting und Liebenau mit aktuell jeweils 16 bis 19 Prozent FPÖ-Wähleranteil.

Was man nicht übersehen sollte: Die Austro-Kommunisten verfügen über eines der größten Geldvermögen aller Parteien im Land. Aus heutiger Sicht lässt sich nicht abschätzen, wohin die Reise dereinst noch geht, wenn die KPÖ, nun animiert durch das Graz-Ergebnis, ihr gewaltiges Kapital für Kandidaturen bei künftigen Wahlen in anderen Bundesländern und im Bund einsetzt.

Wegen der möglichen Koalitionen da wie dort bleiben die an Überraschungen wahrlich reichen Wahlen in Deutschland und Österreich hinsichtlich der Besetzung der Ämter (Ausnahme: Oberösterreich) bis auf Weiteres offen. Vor allem die Frage, wer in Berlin nun wirklich Kanzler wird, ist nach wie vor ungelöst. Ihre Beantwortung bleibt bis zuletzt spannend.

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