Was ist eigentlich das Lebendige?

Von Karl Sumereder

Dieser Aufsatz soll einen kurzen Über- und Einblick in das Naturgeschehen, das ohne unser Zutun abläuft, geben, und zwar über die existierenden anorganischen und organischen Systeme und Erscheinungen. Speziell wird der Zellenzyklus der Lebewesen, eine natürlich ablaufende Ereigniskette beleuchtet.

Nach einer neuen Version des physikalischen Urknallmodells entstand das für uns beobachtbare Universum vor etwa 13,75 Milliarden Jahren. Das wirkliche Verständnis des sich erweiternden Alls entzieht sich unserer Vorstellungskraft. Das Universum wird gemäß neuen Erkenntnissen überwiegend von „Dunkler Materie“, bei der es sich laut Lawrence M. Krauss („Ein Universum aus Nichts“, Penguin Verlag, 2019) höchstwahrscheinlich um eine besondere Art von Elementarteilchen handelt, und von „Dunkler Energie“ beherrscht, deren beider Ursprünge ein absolutes Geheimnis sind.

Es gibt auch phantasievolle Vermutungen über andere Universen gemäß den Stringtheorien, die für unsere Sinne und technischen Instrumente aber unzugänglich sind.

Für uns wahrnehmbare Substanzen, die aus Atomen eines Typs bestehen – heute weiß man, dass es etwa 100 verschiedene Arten von Atomen gibt – werden in der Physik Elemente genannt. Beispielsweise sind solche: Wasserstoff, Helium, Kohlenstoff, Sauerstoff, Eisen, Chlor, Kupfer, Natrium, Stickstoff und Gold.

Atomverbindungen, wenn sich mindestens zwei Atome auf bestimmte Weise verbinden, wie etwa Wasser (H2O), eine Verbindung von einem Sauerstoffatom und zwei Wasserstoffatomen, werden als Moleküle bezeichnet. Alle Lebensformen enthalten zahlreiche diverse Atome, die auf eine spezielle Weise verknüpft sind. Die Art der Verknüpfung sowie Art und Zahl der Atome ist für jede Verbindung typisch und unterscheidet sie von anderen.

Ein Diamantkristall beispielsweise ist ein Makromolekül ohne festgelegte Größe. Es besteht aus Millionen Atomen des Elements Kohlenstoff, die auf besondere Weise verbunden sind.

Der Planet Erde hat sich vor etwa 4,5 Milliarden Jahren herausgebildet. Die ältesten Mikrofossilien, die in Sedimentgesteinen entdeckt wurden, sind etwa 3,5 Milliarden Jahre alt.

Die Zeit noch ohne organisches Leben

Die Zeitspanne für das Naturgeschehen, noch ohne Lebenserscheinungen auf unserem Planeten, wird als Azoikum definiert. Es herrschte ein Energieinferno von Stürmen, Urgewittern, Vulkaneruptionen und sintflutartigen Regenfällen, wobei die Erdoberfläche allmählich abkühlte. In der sie umgebenden Gashülle gab es noch kaum Sauerstoff, aber überwiegend Kohlendioxyd. Aus Erdspalten und durch Vulkane wurden Feuer- und Dampfsäulen herausgeschleudert. Gasblasen stiegen aus dem Erdinneren hervor und zerplatzten im kochenden Gestein auf der Erdoberfläche.

Nach langen Zeitabläufen entstanden im gebildeten Urozean die ersten einzelligen Lebensformen als frühe Vorläufer der Grünpflanzen, welche die Produktion von Sauerstoff in der Erdatmosphäre bewirkten. Es waren noch unscheinbare Gebilde, die als Stoffwechselprodukt der Fotosynthese das Sauerstoffgas produzierten, welches die vielfältigen Lebensformen erst ermöglichte.

Vor etwa 440 Millionen Jahren besiedelten die ersten Pflanzen die Erdoberfläche. Weniger als 100 Millionen Jahre später gab es riesige Farn- und Schachtelhalmwälder und sogar schon Nadelbäume.

Was ist das eigentlich – das Lebendige?

Die Definition von „lebendig“ und „nichtlebendig“ ist, wie man aus der Fachliteratur entnehmen kann, schwierig. Die Biologen sind sich einig, dass ein System, ein Gebilde, um als ein organisches Wesen eingestuft zu werden, bestimmte Kriterien aufweisen muss. Nämlich mittels Energie komplexe Moleküle aufzubauen, innere Systeme zu organisieren, auf Reize und Impulse aus der Umwelt zu reagieren und sich fortzupflanzen.

Alle Lebewesen auf der Erde bestehen aus Zellen, diesem Ursprung des Lebens, aus mikroskopisch kleinen Bausteinen. Das Verhalten der Zellen, ihre Struktur, ihren mikroskopischen und submikroskopischen Aufbau zu verstehen, heißt das Lebendige zu verstehen. Zellen sind meist viel zu klein und ohne eine starke Vergrößerung nicht erkennbar. Es gibt aber auch große Zellen. Vogeleier sind solche, der Dotter ist der Zellkern. Das größte Vogelei stammt vom Strauß (die Eischale ist nicht Teil der Zelle, sondern wird von ihr hergestellt).

Millionen von Lebensformen auf der Erde sind Einzeller, wie zum Beispiel die Bakterien. Mit bis zu fünf Zentimetern Durchmesser ist die Blasenalge (Valonia ventricosa) eines der größten einzelligen Lebewesen. Alle Lebensformen, die wir kennen, bestehen aus Tausenden, Millionen, Milliarden oder Billionen Zellen. Pflanzen, Moose, Pilze, Tiere (Menschen) sind solche vielzelligen Organismen.

Viren sind im Unterschied zu den Bakterien nicht lebendig. Sie haben weder einen Stoffwechsel, noch können sie Proteine bilden. Sie sind auf das Andocken an die molekulare Maschinerie der lebenden Zellen angewiesen, um sich zu replizieren, also zu vermehren.

Entstehen und Vergehen

Es ist nicht genau bekannt, wann und wie die ersten Zellformen auf unserem Planeten entstanden sind. Biochemiker und Molekularbiologen beschreiben plausible chemische Mechanismen und Wege, gemäß denen es den ursprünglichen Biomolekülen wie der RNA (Ribonukleinsäure) möglich gewesen ist, sich zu bilden und sich zu replizieren.

Wichtige Moleküle das Phänomens Leben kommen auch an unbelebten Orten vor. Es wurden Aminosäuren, diese Bausteinen der Proteine, in Kometen entdeckt.

Irgendwann, vor vier bis dreieinhalb Milliarden Jahren war es soweit. In einer den Planeten Erde überziehenden flüssigen Mischung an organischen Substanzen, der „Ursuppe“, entstanden Nukleinsäure-Moleküle, wie die RNA und die DNA (Desoxyribonukleinsäure) als Informationsspeicher (eine über die Chemie hinausführende Eigenschaft) und Stoffwechselprozesse tauchten auf. Wo die Ursuppe am fruchtbarsten gewesen sein könnte, wird gerätselt. An den Ufern des Ur-Meeres, wo Gesteinsoberflächen Entwicklungsflächen boten oder an den Hydrothermalquellen, den „Black Smokern“ in der Tiefsee?

Es wird angenommen, dass die ersten biologischen Zellen einfache ölige Tröpfchen gewesen sind, die winzige „Chemielabore“ enthielten und welche die erste sich selbstreplizierende RNA vor der Umgebung schützten. (Die chemische Verbindung RNA dient dazu, um Abschnitte der DNA (Chromosom, Gene) als Vorlage zum Bau der Proteine zu kopieren. Ein Gen ist ein bestimmter Abschnitt der DNA, welches das „Rezept“ für ein bestimmtes Protein darstellt). Proteine, umgangssprachlich Eiweiße genannt, sind Makromoleküle, die aus Aminosäuren aufgebaut sind. Proteine dienen als molekulare „Werkzeuge“. Als Enzymmoleküle ermöglichen sie Zellbewegungen und katalysieren chemische Reaktionen. (Ein Katalysator beschleunigt eine chemische Reaktion, ohne sich dabei selbst zu verändern).

Alle unsere Muskeln, Herz, Hirn, Haut, Haare bestehen aus Proteinen. Die Proteine werden, irgendwie verständlich formuliert, in den Zellen durch die Ribosomen-Moleküle (Energieträger) zusammengebaut, die dann die in der DNA codierten Anweisungen zum Aufbau umsetzen. Alle Zellen beziehen die Energie, die sie zum Wachsen und zur Vermehrung brauchen, aus energiereichen Verbindungen, wie Glukose. Mit Hilfe von Sonnenenergie kann Glukose erzeugt werden. Die Lichtenergie ist physikalisch gesehen eine elektromagnetische Welle. Wir Menschen nehmen nur bestimmte Wellenlängen wahr. Etwa 385 Nanometer als blau, etwa 950 Nanometer als rot. Bestimmte Lebewesen können auch ultraviolettes und infrarotes Licht wahrnehmen.

Die Lebensformen werden durch die Biologie in solche eingeteilt, deren Zellen keinen Zellkern besitzen, als so genannte Prokaryoten (Bakterien und Archaeen) und in Eukaryoten, die einen Zellkern besitzen (Amöben, Hefen, Pflanzen, Tiere). Alle Lebewesen sind eine Gemeinschaft unzähliger kooperierender Zellen. Sie können unterschiedliche Formen bilden und diverse Aufgaben ausführen, um spezielle Gewebe und Organe aufzubauen.

Die ersten vielzelligen Organismen

Durch mikrobiologische Analysen der Genome von Pflanzen und Tieren sind Details bekannt geworden, wie sich die ersten vielzelligen Organismen entwickelten. Aus dem Studium von Fossilien wurde auch klar, dass sich eine Vielzelligkeit in der Erdgeschichte mehrmals herausgebildet hat.

Die Abstammungslinien aller vielzelligen Organismen lassen sich 600 Millionen Jahre zurückverfolgen. Erste tierische Organismen kamen ungefähr zur gleichen Zeit wie die ersten vielzelligen Pilze hervor. Eine Weiterentwicklung der Tiere nahm aber erst später in einer Millionen Jahre währenden Periode vor rund 540 Millionen Jahren an Fahrt auf. Diese Zeit wird als die kambrische Explosion genannt. In ihr entwickelten sich die Abstammungslinien aller heute noch lebenden tierischen Wesen. Vermutlich war der von Pflanzen, deren Abstammung sich auf die Grünalgen zurückführen lässt, durch die Fotosynthese bewirkte Anstieg der Sauerstoffkonzentration in der Atmosphäre der Auslöser.

Im Karbonzeitalter, vor 360 bis 300 Millionen Jahren war ein Großteil der Landfläche der Erde mit dichten Wäldern und Riesenbäumen bedeckt.

Ein Nachweis für den erfolgten Zusammenschluss einzelner Zellen wurde in sehr alten Fossilien gefunden. Es wird angenommen, dass vor rund 2,4 Milliarden Jahren Cyano-Bakterien – die früher Blaualgen genannt wurden – nach ihrer Reproduktion zusammenblieben und sich nicht trennten. Das Resultat waren dann Organismen mit einer Zellenvielfalt.

Chemische Gestaltungsprozesse

In jeder Körperzelle laufen chemische Prozesse – durch Energiezufuhr bewirkt – ab. Es sind Prozesse, die für die Lebenssteuerung maßgeblich sind. Makromoleküle wie Proteine, Nukleinsäuren und Biopolymere bauen Zellulose auf. Organismen, deren Zellenkomplex organische Moleküle mit Energie aus ihrer Umgebung bilden, werden als autotroph (Selbstversorger) bezeichnet. Organismen, die die Energie des Sonnenlichts nutzen, sind phototroph. Bestimmte autotrophe Organismen nutzen Hochenergie-Moleküle, wie sie in Hydrothermalquellen der Tiefsee erzeugt werden. Sie werden als chemoautotroph bezeichnet. Andere lebende Dinge sind heterotroph, was bedeutet, dass sie ihre Nahrung nicht selbst synthetisieren. Sie beziehen die Energie durch Aufnahme von Stoffen wie Glukose aus autotrophen Gebilden. Dies bedeutet, sie fressen andere Zellen, um zu überleben.

Es gibt auch isoliert existierende Bakterienspezies, die bei ihrem Stoffwechselprozess als Oxidationsmittel nicht den Sauerstoff, sondern Sulfat (SO4) benutzen und sich die Energie für diese Produktion aus Radioaktivität, aus dem natürlichen radioaktiven Zerfall holen.

(Siehe dazu auch: Jack Challoner, „The Cell – a visual Tour of the Building Block of Life“, 2016 Theiss Verlag, by WBG /Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt)

Die Selbstmontage des Lebendigen

Der kürzlich verstorbene chilenische Neurowissenschafter und Biologe Humberto Maturana (1928–2021) hat mit Francisco J. Varela den Begriff Autopoiese eingeführt. Ein Begriff aus dem Radikalen Konstruktivismus. Autopoiese bezeichnet die stärkste Form der Selbstreferenz, die beschreibt, dass biologische Systeme nicht nur das Verhalten, sondern überhaupt deren Existenz durch sich selbst erzeugen.

Das Konzept der Autopoiese ist integraler Bestandteil der biologischen Theorie der Kognition. Kognition ist die von einem verhaltenssteuernden System ausgeführte Umgestaltung von Informationen. Kognition ist ein Sammelbegriff für Prozesse, die der Informationsverarbeitung und dem Erkennen dienen. Zu diesen gehören neben Wahrnehmungen und dem Gedächtnis, auch Lernen, Erwartungen und Bewertungen. Auch Gefühle und Motivationen beruhen im weitesten Sinn auf einer Informationsverarbeitung. Informationsverarbeitende Prozesse können bei uns Menschen sowohl bewusst, als auch unbewusst ablaufen, was Maturana und Varela im „Der Baum der Erkenntnis, die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens“, Fischer Taschenbuch 2011, umfassend ausformuliert haben. Das Werk „Der Baum der Erkenntnis“ ist das Ergebnis einer 1984 publizierten Untersuchung über die Entwicklung des Lebens, in der die biologische Theorie der Kognition vorgestellt wurde. Maturana und Varela zeichnen die biologische Geschichte des Lebens seit der Entstehung der Welt nach und aktualisieren sie neu. Sie wird auch durch entsprechende Begriffsbildungen ausgedrückt.

So tritt der Aspekt des Lebenskampfes bei der Auslese zurück. Dieser Begriff wird ersetzt und an seine Stelle tritt das natürliche Driften von Lebewesen. Maturana und Varela verabschieden sich von einer Auffassung der Welt als einer Ansammlung von zu erkennenden beobachterunabhängigen Objekten. Diese besondere Auffassung verwebt die Prozesse der Autopoiese und der durch das Nervensystem hergestellten sensomotorischen Beziehungen des beweglichen Organismus zu einem ständigen Akt der Hervorbringung einer Welt im ablaufenden Prozess des Lebensvollzugs.

„Die Ungläubigen sind die
Allerleichtgläubigsten“
   Blaise Pascal

Nun, dies alles ist für uns Laien und Alltagsmenschen wohl gewaltig verwirrend und kompliziert, was da anstelle der uns bekannten Philosophien und Theologien hervorgebracht und dargestellt wird. Verwirrender und merkwürdiger, als wir mit unserer kärglichen Vorstellungskraft überhaupt antizipieren können.

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