Die Deutschen und der Mythos Wald

Von Fabian Walch

Eine Mischung aus Linksextremen und militanten Umweltschützern besetzen seit geraumer Zeit den Danneröder Forst bei Homburg, um diesen – bisher erfolgreich – vor der Rodung zu bewahren. Bekanntestes Gesicht der Besetzer ist Carola Rackete, die durch illegale Schlepperaktionen im Mittelmeer zweifelhaften Ruhm erlangte. Geplant ist der umstrittene Ausbau der A49 zwischen Gießen und Kassel, dem der Wald zum Opfer fallen soll. Wie man zu dem geplanten Projekt steht, wird in diesem Text aber hintangestellt. Vielmehr soll aufgezeigt werden, dass die Faszination, die vom Wald ausgeht, zur deutschen Volksseele gehört und die „progressiven“ Ökos sich unfreiwillig in eine Tradition deutscher Kultur einreihen, die ihnen eigentlich zuwider ist.

Wenn im Folgenden von „Deutschen“ die Rede ist, dann ist die Gesamtheit der Zugehörigen des deutschen Sprach- und Kulturraumes gemeint und nicht nur die Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland. Noch angemerkt sei, dass – auch wenn man sich in diesem Text der Einfachheit dessen auch bedient – diese Thematik unter anderem beweist, dass die simplizistische Einteilung von Politik in Links und Rechts völlig überholt ist und eigentlich gar nie adäquat war. Der politischen Vielfältigkeit kann dieses bipolare System gar nie gerecht werden und zeigt nur die Hilflosigkeit der Politikwissenschaft – und wohl auch des Autors dieses Textes – Politik zufriedenstellend einzuordnen.

Was hat es nun mit den Deutschen und dem Wald auf sich? Warum strahlt dieser eine hypnotische Faszination aus, die sich auf unterschiedlichste Weise immer wieder manifestiert? Und warum erliegen selbst Gruppierungen diesem Faszinosum, die diesem Volk samt seiner Kultur eigentlich den Kampf angesagt haben und alles tilgen wollen, was in Verbindung dazu steht?

Der germanische Ursprungsmythos

Für die Germanen, die zwar nicht deckungsgleich mit den Deutschen sind, aber als deren Vorfahren sehr wohl miteinander zu tun haben, galt der Wald als Nahrungsquelle, Ritusstätte und Ort voller Wunder, Leben sowie Gefahren. In Tacitus‘ Germania, die er circa 100 n. Chr. verfasste, erfahren wir, dass die Germanen Angst davor hatten, sich in bestimmten Gegenden ihrer Wälder aufzuhalten. Tacitus berichtet außerdem, dass Germanen heilige Bäume verehrten und kleine Wälder oder Haine bestimmten Gottheiten zugeordnet waren. Beispielsweise die Esche Wotan oder die Eiche Donar, wie die bekannte Donareiche bei Fritzlar (Nordhessen) bekundet. In der germanischen Vorstellungswelt verkörpert die Weltesche Yggdrasil (auch Mimameid oder Lärad) den gesamten Kosmos. Wenn Yggdrasil zu welken beginnt, naht das Weltenende Ragnarök.

Die riesigen dunklen Wälder Germaniens wurden auch als Wiege der germanischen Stämme stilisiert. Diese These wurde romantisiert vom nationalbewussten 19. Jahrhundert aufgegriffen. 1918 schrieb etwa der Volkskundler Eugen Mogk: „Wir erfahren von Tacitus, mit welch heiliger Scheu die Germanen ihre Wälder betraten. Noch heute wirken die Stille oder das Rauschen der Bäume tief auf das Gefühl des Volkes ein.“[1] Heute wissen wir, dass die Germania von Tacitus nur mit Vorsicht genossen werden darf, da der Autor selbst nie dort war und sich auf nebulöse Berichte stützt. Als Stichwort sei die verbreitete Spiegelbildtheorie genannt, welche die Auffassung vertritt, dass die Germania der dekadenten römischen Gesellschaft als Spiegel zu den naturverbundenen und edlen Germanen vorgehalten werden sollte.

Schriftliche Zeugnisse von den Germanen selbst haben wir aus dieser Zeit leider keine. Dafür haben wir mit Cäsar einen weiteren römischen Autor, der uns von diesem mysteriösen Volk berichtet. In seinem „De bello gallico“ erfahren wir im sogenannten Germanenexkurs von ihrer Lebensweise und Naturreligion, die stark mit den heimischen Wäldern verknüpft ist. Besondere Rätsel geben uns die Funde von unzähligen Moorleichen auf, welche die Germanen in den Sümpfen versenkten. Die Theorie vom Menschenopfer ist nicht unumstritten. Es könnten auch spezielle Bestattungsriten dahinterstecken.

In der germanischen Mythologie war der Wald jedenfalls ein Ort religiöser Verehrung. Der heilige Wald war Sitz von Göttern und Naturgeistern. Es gab heilige Haine, in denen Menschen mit der Allmacht der Natur, die beispielsweise in Form von Waldgottheiten personifiziert war, in Beziehung traten. Bäumen wurde eine Seele zugeschrieben, einige galten als heilig.

Wenn wir Germanen und Wald hören, denken wir vermutlich als erstes an die Schlacht im Teutoburger Wald. Neun nach Christus vernichten germanische Stämme unter der Führung von Hermann dem Cherusker drei römische Legionen, sichern damit die Freiheit Germaniens und zementieren Rhein und Donau als Grenze der beiden Welten ein. Das gigantische Hermannsdenkmal in Detmold erinnert noch heute an die Varusschlacht im Teutoburger Wald.

Der Wald im Mittelalter

Im Mittelalter war der Wald Projektionsfläche von volkstümlichem Aberglauben und Heimstätte von Hexen, allerlei Fabelwesen, Geistern und Dämonen. Diese Vorstellungen haben sich in Volks- und Hausmärchen bis heute erhalten. Für die mittelalterlichen Deutschen war der Wald voller Gefahren mit wilden Tieren. Dennoch war der Wald lebensnotwendig. Er spendete Holz für allerlei Zwecke, im Herbst diente er zur Schweinemast und in Jahren schlechter Ernte vermochte der Wald mit Eicheln und Bucheckern das Überleben zu sichern.

In mittelalterlichen Quellen wird zwischen der Terra inculta, dem undurchdringlichen, nur von Tieren bewohnten Wald Germaniens, und der Terra culta, dem kultivierten, bebauten Land unterschieden. Der Wald war Ort von Nutzungsinteressen und Rechten, wo Herrschaft, Landwirtschaft sowie Jagd und Lebensraum einander begegneten. Der Wald galt aber auch als Grundstofflieferant und Energieträger, vor allem auch für Städte. Für den Adel bot der Wald als Jagdrevier Zeitvertreib in Friedenszeiten.

Eine besondere Rolle nahm der Wald aber auch in der höfischen Literatur ein. So wird der Wald als Sinnbild des Chaos, sein Dunkel für die Unverständlichkeit eines Textes gebraucht und im Artusroman als Raum des Anderen, der fremden Gestalten und Figuren, anderer Gesetze und als Gegensatz zur generellen Bedrohung des Höfischen. Der Wald ist aber auch Raum der Utopie, ein Nicht-Ort, losgelöst von Zeit und Ordnung, Moral und Politik. Etwa der Gralswald in der Erzählung von Parzival, der dann in den Wald als Heilsraum mündet, als Ort der Gotteszugewandtheit, der Erkenntnis und des Lichts. Der Wald ist zudem Raum der Erzählung, die untrennbar mit dem Mythischen verbunden ist und aus seinen Figuren und Begebenheiten, wie etwa der „âventiure“ des Artusritters, erst eine Geschichte macht. Als Raum der Kontingenz ist der Wald auch ein Ort für zufällige, unvorhergesehene Begegnungen, ein Ort der Unberechenbarkeit. Schließlich ist der Wald auch Raum des Kampfes, mit Schauraum und Licht an seinen Rändern und auf Lichtungen wie im Artusroman, oder – wie in der Heldenepik im Eckenlied oder bei Dietrich von Bern – sehr finster und als wilde Naturszenerie dargestellt, im Dickicht, bei den wilden Tieren, mit Kampflärm und geprägt von archaischen Gewalten.

Wälder spielten aber auch für Siedlungen eine essentielle Rolle. Die vier Waldstädte Laufenburg, Waldshut, Säckingen und Rheinfelden etwa waren am Rhein liegende habsburgische Grenzstädte zur Eidgenossenschaft, die eine besondere Rolle der vorderösterreichischen Länder einnahmen. Der Name rührt von ihrer waldbekränzten Lage im Schwarzwald. Apropos Schweiz: die Region der drei Urkantone Uri, Schwyz und Unterwalden wurde seit dem Ende des 13. Jahrhunderts als Waldstätte bezeichnet. Der darin gelegene Vierwaldstättersee bildet noch heute das Zentrum der Zentralschweiz. Aber auch in der deutschen Ostsiedlung des Mittelalters spielte der „wilde Osten“ mit seinen großen ungezähmten Wäldern eine wichtige Rolle. Um nur ein paar Beispiele zu nennen.

Der Wald als Seelenlandschaft

Die Aufklärung durchflutete erstmals den Wald mit Licht und vertrieb alte Geister und bedrohliche Dämonen. Der Wald wurde rationalisiert. Unter den Romantikern wurde der Wald dann gar zur Seelenlandschaft der eigenen Empfindsamkeit und Ort der Kontemplation. Gedichtet wurde von der Waldeseinsamkeit und Waldesnacht, der Waldesweite und dem Waldeskönigtum. Darüber hinaus war der Wald beliebtes Motiv in der Malerei. Während des Biedermeier sind es etwa der Wiener Moritz von Schwind oder Carl Spitzweg, die explizit den Wald in ihre Bilder aufnehmen.

In diversen Bereichen kam es zu einer wahren Waldästhetik. Heinrich von Salisch, einer der Gründer der Forstästhetik, sah den Naturgenuss gleichwertig dem Kunstgenuss. Der Besuch eines Waldes sollte zum Äquivalent eines Museumsbesuchs werden. Von Salisch entwickelte am Beispiel des Waldes eine Farbenlehre der Landschaft mit feinen Abstufungen der Grüntöne, des Laubes, Mooses und Wassers. Auch Waldgeruch und Stimmen des Waldes, Windgeräusche und der Vogelgesang gehörten nach von Salisch zur Ästhetik des Waldes.

Seit der Naturmystik Jakob Böhmes und dem Hain-Kult im 18. Jahrhundert war der Wald auf dem Weg, zum deutschen Nationalmythos stilisiert zu werden. Vor allem bei Klopstock und seinen Schülern war der Hain Sitz und Symbol germanischer Dichtkunst. In den Grimmschen Märchen verlaufen sich nicht nur Hänsel und Gretel im finsteren Wald, sondern auch Schneewittchen wird in den Wald gebracht, und Rotkäppchen muss den gefährlichen Wald durchqueren, um zu ihrer Großmutter zu gelangen. Siegfried der Drachentöter aus dem Nibelungenlied – dem Nationalepos der Deutschen – jagte heldenhaft im Vogesenwald. Von den höfischen Epen haben wir bereits erfahren. Richard Wagner ließ seine Heroen der Vorzeit nicht selten im deutschen Wald glänzen. Friedrich Schillers Räuber treiben auch im Sturm und Drang im Wald ihr Unwesen. Und auch Theodor Körner lässt die schwarzen Jäger Lützows im finsteren Wald den fränkischen Schergen auflauern.

In historischen und volkskundlichen Abhandlungen avancierte der Wald zum Sinnbild germanisch-deutscher Art und deren Kultur. Diese Nationalisierung des Waldes erlebte zur Zeit der antinapoleonischen Befreiungskriege 1813–1815 einen ersten Höhepunkt. Diese Stilisierung der waldbezogenen deutschen Kultur wurde in Gegensatz zur gekünstelten urbanen Zivilisation der romanischen Völker gesetzt. Noch im Ersten Weltkrieg wurde in dieser Tradition der Kampf zwischen Kultur und Zivilisation beschworen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts fragte Joseph Freiherr von Eichendorff: „Wer hat dich, du schöner Wald / Aufgebaut so hoch da droben?“ und versprach zugleich: „Wohl den Meister will ich loben, / so lang noch mein‘ Stimm‘ erschallt.“ Einhundert Jahre später befand der Österreicher Robert Musil, „das Massensymbol der Deutschen war das Heer. Aber das Heer: es war mehr der marschierende Wald […].“ Für Ernst Jünger wandelte sich der Wald nach dem Schrecken zweier Weltkriege von unheimlich zu heimlich: „Der Wald ist heimlich. Das Wort gehört zu jenen unserer Sprache, in denen sich zugleich ihr Gegensatz verbirgt. Das Heimliche ist das Trauliche, das wohl geborgene Zuhause, der Hort der Sicherheit. Es ist nicht minder das Verborgen-Heimliche und rückt in diesem Sinne an das Unheimliche heran.“

Vor allem die großstädtische Bevölkerung unternahm mit Hilfe des technischen Fortschritts nach der deutschen Reichsgründung 1871 massenhaft Waldausflüge. Durch die neuen Verkehrsmittel war dies nun kein großer Aufwand mehr, und der Wald, der durch Epen, Dichtung, Märchen, Bildern und Opern zum Sehnsuchtsort wurde, wollte erlebt werden. Der Wald war der ruhige Gegenpol zum Großstadtlärm sowie Naturausgleich zu den qualmenden Schornsteinen der Industriefabriken. Die Wanderlust wird zu einem Wort, welches sogar in der englischen Sprache Einzug findet.

Der Wald und die deutsche Politik

Im nationalbewussten 19. Jahrhundert wird der Wald zum Ursprung deutscher Identität. Die Eiche wurde zum Nationalbaum der Deutschen, was sich in unterschiedlichster Form zeigte. So hatte man etwa begonnen, Denkmalseichen zu pflanzen. Ab 1830 zunächst Luthereichen, später Kaiser- und Bismarckeichen und die Nationalsozialisten dann Hitlereichen. Das Eichenlaub wurde zum politischen und militärischen Symbol. In vielfältigster Weise versinnbildlichten also der Wald beziehungsweise bestimmte Bäume deutsche Identität und Stärke.

Der berühmte Turnvater Friedrich Jahn regte an, einen dichten deutschen Wald am Rhein zu pflanzen, in dem sich französische Soldaten zu Tode fürchten sollten. Eine Art natürlicher Verteidigungswall, der die Wacht am Rhein verstärken sollte. Der Wald war in Kultur und Politik omnipräsent. Versinnbildlicht wird dies zum Beispiel im Ostpreußenlied, der Landeshymne Ostpreußens, die mit den Zeilen „Land der dunklen Wälder […]“ beginnt.

Eine Anekdote über Reichskanzler Otto von Bismarck verdeutlicht die gesellschaftspolitische Bedeutung des Waldes in dieser Zeit. Der intellektuelle Staatsmann kannte die Waldforschung der zeitgenössischen Germanisten und wusste dieses Wissen politisch nur zu gut zu nutzen, indem er beispielsweise gegen seinen Nachfolger Graf Leo von Caprivi polemisierte. Dieser hatte nach seinem Amtsantritt die Bäume vor seinem Palais entfernen lassen, was Bismarck zu folgender Reaktion verleitete: „Aus dieser Baumvertilgung spricht nicht ein Deutscher, sondern ein slavischer Characterzug. Die Slaven und die Celten, beide ohne Zweifel stammverwandter als jeder von ihnen mit den Germanen, sind keine Baumfreunde, wie jeder weiß, der in Polen und in Frankreich gewesen ist, ihre Dörfer und Städte stehen baumlos auf der Ackerfläche, wie ein Nürnberger Spielzeug auf dem Tische.“[2]

Weder der schnarrende preußische Militarismus noch der großmäulige wilhelminische Imperialismus konnten den romantischen Zauber des germanischen Waldes, dem die Deutschen seit jeher verfallen gewesen waren, verdrängen. Auch nicht die Instrumentalisierung der Nationalsozialisten, die den Wald als Ursprung der arisch-germanischen Rasse verstanden haben wollten, schafften dies. Die Deutschen wurden als Waldvolk gesehen, das sich gegen Angriffe von Nicht-Waldvölkern behaupten muss. Dabei wurden etwa die Slawen/Polen als Steppenvolk und die Juden als Wüstenvolk den waldliebenden Deutschen gegenübergestellt und als „naturferne und baumfeindliche Kulturen“ betrachtet. Der Reichsjägermeister Hermann Göring plante etwa im zu erobernden Osten eigene Jagdwälder für NS-Eliten einzurichten. Dort hätte nicht nur Lebensraum für die Deutschen entstehen sollen, sondern es sollten auch die ausgestorbenen Auerochsen und Heckpferde aus germanischer Urzeit durch Abbildzüchtung wiedererweckt werden.

Mit Ende des Zweiten Weltkrieges kam es vorerst zu einem abrupten Ende des Mythos Wald. Die Verquickungen auf kultureller und politischer Ebene mit dem Nationalsozialismus waren zu mannigfaltig. Wie vieles andere auch war durch die giftige Instrumentalisierung durch die Nationalsozialisten der deutsche Wald kontaminiert worden, was ein Anstreifen nicht ratsam sein ließ. Eine nicht bestätigte Anekdote bringt dies auf den Punkt: Nach dem Krieg soll ein britischer Verbindungsoffizier auf den Vorschlag eines hamburgischen Buchhändlers, Grimms Märchen in den Kanon der demokratisch unverdächtigen Bücher aufzunehmen, geantwortet haben „Oh no, that’s too much wood!“

Die Krise des deutschen Waldes

Parallel zur nationalen Mythologisierung des deutsch-germanischen Waldes vollzog sich auch das Aufkommen der Forstwirtschaft in Deutschland im 18. Jahrhundert, welche lange Zeit weltweit eine Vorreiterrolle innehatte. Das älteste Buch über Forstwirtschaft geht auf den sächsischen Oberberghauptmann Hannß Carl von Carlowitz zurück. Sein Sylvicultura oeconomica erschien 1713. Die kulturelle und politische Wiederentdeckung des Waldes bildete einen wesentlichen Antrieb dafür, dass seit dem 18. Jahrhundert durch Aufforstung künstlicher Wälder versucht wurde, einen alten Zustand der „Natur“ wiederherzustellen. Diese Anstrengung wurde als Beitrag einer historischen Verpflichtung verstanden.

Durch immer stärkere Abholzung befanden sich die deutschen Wälder im Zeitraum zwischen 1750 und 1850 in desaströsem Zustand. Um 1800 gab es im deutschen Raum kaum noch geschlossene Wälder, was zur ersten Natur- und Umweltschutzbewegung führte. Dies war auch der Ursprung des Begriffs der „Nachhaltigkeit“, der auch heute wieder in aller Munde ist. Gemeint war damals, dass in der Forstwirtschaft nur so viel geholzt werden soll, wie auch wieder nachgepflanzt wird, sodass auch für künftige Generationen nutzbarer Wald vorhanden sein würde.

Etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts begann man damit, die devastierten Wälder und Kahlflächen im Sinne dieser nachhaltigen Forstwirtschaft vorwiegend mit Fichten und Kiefern aufzuforsten. Diesem verantwortungsvollen Umgang ist es zu verdanken, dass die Bundesrepublik Deutschland heute wieder zu den waldreichsten Ländern der Europäischen Union zählt. Mit 11,4 Millionen Hektar ist knapp ein Drittel des Landes mit Wald bedeckt. Allein die letzten zehn Jahre nahm die Waldfläche um 50.000 ha, was 0,4 Prozent entspricht, zu.

Auch in Österreich wird nachhaltige Forstwirtschaft praktiziert, was ein jährliches Waldwachstum zur Folge hat. Es gibt aber nur noch wenige urzeitliche Wälder, wie etwa den niederösterreichischen Rothwald, der seit der letzten Eiszeit keine Axt gesehen hat.

Neben dem Umweltaspekt gab es aber vor allem in der Romantik zusehends ein psychisches Bedürfnis der Deutschen nach dem Wald. Der Kulturhistoriker Heinrich Riehl brachte dies 1854 in seinem Werk „Land und Leute“ treffend auf den Punkt: „Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürfen, würden wir doch noch den Wald brauchen. Das deutsche Volk bedarf des Waldes wie der Mensch des Weines.“ Der Wald war zum Stoff von Märchen, Sagen und Gedichten geworden, zum Kulturerbe und ein Stück deutscher Identität.

Der deutsche Wald und die linke Hegemonie

Heute diskutiert man darüber, ob aus ökologischen Gründen ein weiterer Waldumbau in Angriff genommen werden soll. Um die Widerstandsfähigkeit der Wälder zu erhöhen, soll weg von den Monokulturen, hin zu strapazierfähigen Mischwäldern, gegangen werden. Seit den 1980er-Jahren haben die Mischwaldbestände bereits deutlich zugenommen. Dies war ein Ergebnis, dem in den 1980er-Jahren Massenproteste vorausgingen, weil der saure Regen vermeintlich ein Waldsterben auslöste.

Die deutsche Angst vor dem Waldsterben tönte laut in die Welt hinaus und stieß auf vielfaches Unverständnis. Fatalistisch orakelte der Spiegel „Wir stehen vor einem ökologischen Hiroshima“ und das Magazin „Stern“ verlautbarte „Die Reihen der Bäume lichten sich wie die Armee unterm Trommelfeuer.“ Die Parallelen zu zeitgenössischen Printtiteln zur vermeintlichen Klimakatastrophe sind frappierend. Der Dichter Otto Jägersberg beklagte jedenfalls am Höhepunkt der Hysterie 1985: „Das ewige Reden über den sauren Regen / macht den Wald ganz krank / Niemand geht mehr in ihm rum / und bewundert ihn / Alle bemitleiden ihn nur noch / Kein Leben für den Wald.“ Amerikaner und Franzosen sind noch heute amüsiert, wenn sie „le/the waldsterben“ sagen.

Die Klimabewegung fordert aktuell wieder die Mischwaldaufforstung. Der Begriff der Nachhaltigkeit erlebt im Zusammenhang damit auch wieder eine Renaissance, ohne dass den Protagonisten bewusst zu sein scheint, dass dieser Begriff eigentlich der Inbegriff von Konservatismus ist. Ähnlich verhält es sich mit Projekten, die es sich zum Ziel gesetzt haben, etwa den europäischen Bison oder den Wisent in unseren Wäldern wieder auszuwildern. Wölfe und Bären in freier Wildbahn sind ja immer wieder Thema heftiger politischer Auseinandersetzungen. Wildschweine erregen hin und wieder Aufsehen, wenn sie sich in Siedlungen verirren.

Natur-, Umwelt- und Klimaschutz werden heute fälschlicherweise als links-grünes Monopol gesehen. Dabei ist, wie gezeigt wurde, gerade Nachhaltigkeit ein urkonservativer Wert. Die politische Rezeption dieser Symbolik und Instrumentalisierung aller Gefühle, die damit in Verbindung stehen, sind schon gar keine Erfindung der Nachkriegszeit. Als Hassobjekt werden dem Wald durch die linke Vereinnahmung des Themas heute Industrie und Großkonzerne sowie in weiterer Folge der Kapitalismus gegenübergestellt. Ob Proponenten der neuen linken Umweltbewegung wie Carola Rackete oder Luisa Neubauer bewusst ist, in welcher Tradition sie hier stehen? Jedenfalls brauchen sie in puncto Fanatismus und Radikalität den Vergleich nicht zu scheuen. Auch die linksextremistische Terrororganisation RAF, die sich selbst als Stadtguerilla definierte, kam nicht umhin, ihr Waffendepot im Sachsenwald östlich von Hamburg anzulegen – in einem der geschichtsträchtigsten deutschen Laubwälder, dessen germanisches Vermächtnis die roten Terroristen wohl, ohne mit der Wimper zu zucken, als faschistisch betitelt hätten.

Die politische Rechte sollte sich stärker der Natur besinnen, wie dies ihre geistigen Vorväter bereits im 19. Jahrhundert erfolgreich taten. Wandern im Westerwald, träumen im Schwarzwald, verlaufen in den Wäldern von Grimms Märchen oder der Schlacht im Teutoburger Wald gedenken. All diese Motive sind tief in unserem kulturellen Gedächtnis verankert und rufen mannigfaltige Gefühle hervor. Sie sollten nicht nur auf studentischen Buden besungen, sondern auch wieder mit politischem und kulturellem Leben gefüllt werden. Dieses „Spielfeld“ der Linken überlassen zu haben, ist ein großer Fehler, der sich bereits gerächt hat.

Anmerkungen

[1] Albrecht Lehmann: Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Hamburg 1999, S. 44.

[2] Albrecht Lehmann: Von Menschen und Bäumen. Die Deutschen und ihr Wald, Hamburg 1999, S. 44.

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