Migranten als Waffe in Osteuropa

Von Gerulf Stix

Polen verteidigt gegen die von Lukaschenkos Truppen herangekarrten Immigranten hauptsächlich aus Afghanistan, Irak und Syrien die EU-Außengrenze – Premierminister Morawiecki prahlt damit sogar -, obwohl Polen ohne Wenn und Aber nur seine eigene Landesgrenze schützt. Polen nimmt somit praktisch der EU eine Aufgabe ab, die genau genommen die EU selbst wahrzunehmen hätte. Dieselbe EU, mit der der polnische Staat andererseits in einen veritablen Streit über das Justizwesen verstrickt ist! Natürlich hat Brüssel dem Druck seiner Mitgliedstaaten folgend zum Schutz seiner Außengrenzen die Organisation FRONTEX gegründet. Aber diese ist erstens viel zu schwach, zweitens erst in langsamem Aufbau begriffen und muss sich drittens mit vielen Stolpersteinen abmühen, weil ihr ein versteckter Widerwillen aus der Brüsseler Politik und eine eher pazifistische Grundeinstellung entgegen stehen. Zu alledem kommt noch der einseitig betonte „Kampf gegen Rechts“, der in der praktischen Wirklichkeit keiner Truppe guttut.

Somit erfüllt Polen de facto eine europäische Aufgabe, wird aber von Europa geprügelt. Diese Doppelrolle Polens zieht sich fast durch seine ganze Geschichte hindurch. Ohne Vollständigkeit oder gar historische Wissenschaftlichkeit anzustreben, seien hier ein paar Daten erwähnt.
Polen hat schon im 17. Jahrhundert unter seinem König Sobieski, gemeinsam mit dem Reichsheer, die Stadt Wien vor den Türken gerettet. Also vor jener Türkei, mit der Europa heute mit viel Geld im Hinblick auf die Immigranten einen Pakt aufrecht zu erhalten trachtet, obwohl Erdoğan Brüssel auf der Nase herumtanzt.

Mit den Deutschen haben die Polen oft und oft einmal kooperiert, dann wieder sich heftig bekriegt. Im 19. Jahrhundert wurde der polnische Staat nach mehreren Teilungen unter seinen Nachbarn für über 100 Jahre abgeschafft. Die Polen überdauerten als Nation. Nachdem Polen als Staat nach 1918 wiedererstanden war, nahmen sich Hitler und Stalin davon die Gebiete, die sie zum Teil als angestammt ansahen oder die sie für die angepeilte Expansion brauchten. Nach seinem Sieg über Deutschland nahm Stalin dann eine massive Verschiebung Polens von Ost nach West vor. Zu diesem Zweck mussten erst sehr viele Millionen Deutsche vertrieben werden. Mit der Verschiebung Polens schuf Stalin einen unter der Decke langfristig wirkenden Zankapfel zwischen Deutschland und Polen. Indem Stalin aber eindeutig polnisches Gebiet russifizierte (Ostpolen), bewirkte er, dass sich die Polen bis in unsere Gegenwart herauf von Russland bedroht fühlen. Das ist der unausgesprochene Kern im Streit Polens mit Weißrussland.

Der weißrussische Präsident Lukaschenko, mitunter als „letzter Diktator in Europa“ bezeichnet, missbraucht eigens eingeflogene Immigranten als Waffe gegen die EU. Seine Truppen helfen den herangekarrten Immigranten sogar, den polnischen Grenzzaun zu überwinden, wie die NZZ in einem Bericht schreibt. Lukaschenko fühlt sich nicht zuletzt deswegen so stark gegenüber der EU, weil hinter ihm Putin steht, der im Interesse Russlands im Stillen auf Bjelorus spekuliert. Umgekehrt erklärt sich die harte Haltung Polens gegenüber den von Lukaschenko schamlos auf Europa angesetzten Immigranten aus dem stillen Wissen um Russlands Position in dieser Sache. Das dramatische Schauspiel auf offener Bühne verdeckt die maßgebenden Interessen hinter der Bühne.

In ganz Ost-Europa brodelt es

Polen ist nicht der einzige Brandplatz gegenüber Minsk und Moskau. Auch Lettland und Litauen fühlen sich bedroht, weswegen sie eng mit den USA – in Europa mit der NATO – zusammenarbeiten. Ebenso errichten die beiden baltischen Staaten einen Grenzzaun gegen Weißrussland. Im Süden fühlt sich das EU-Mitglied Tschechien auch nicht wohl in seiner Haut. Einerseits hat das frühere Kronland der K. u. k. Monarchie Österreich-Ungarn in den Jahren nach 1945 rund drei Millionen Deutsche vertrieben und damit seine Nachbarn im Westen und Süden verprellt, andererseits befreite sich Tschechien später von seinen russischen „Befreiern“ und dem damit einhergehenden Sowjetkommunismus nicht ohne Gewalt. Erst in November hat Tschechien seinem nördlichen Nachbarn Polen offiziell angeboten, eigene Sicherheitskräfte an die polnisch-weißrussische Grenzen als Hilfe für Polen zu entsenden. Gegenüber Deutschland und der EU verbat sich Warschau allerdings jegliche Hilfe an seiner Ostgrenze.

Die Slowaken, die sich friedlich von Tschechien trennten, grenzen an die Ukraine, um die zwischen den USA und Russland gerungen wird (Stichwort: Krim). So blickt man auch hier aufmerksam nach Osten. Auch sie sichern ihre Grenze.

Das besonders stolze und deutschfreundliche Ungarn hat sich von der Demütigung nach 1918 einigermaßen erholt und sich mittlerweile zum Mitglied der EU herausgemausert. Das Jahr 1956, in dem sich die Ungarn gegen ihre russischen Besatzer erhoben, und das ungarisch-österreichische Vorspiel zum Mauerfall 1989 sind in deutschen Landen noch in guter Erinnerung. Gegenwärtig ist Ungarn unter Orban aber in einen Dauerkonflikt mit der EU verwickelt. Die Tagespresse berichtet darüber laufend. Die Causa ist nach wie vor am Kochen. Auch die von Budapest vehement blockierte Masseneinwanderung spielt dabei eine Rolle. Ungarn errichtet gegenüber Serbien einen Grenzzaun.

Das Ringen um den Balkan

Ein echtes Problem für Europa ist Serbien. Obgleich es nicht an Russland angrenzt, versteht sich Serbien seit jeher gut mit diesem Riesenreich – schon unter den Zaren, jetzt unter Putin. So stört es auch derzeit die westlichen Pläne mit Bosnien-Herzegowina. Dieser durch die EU unter Führung der USA – man denke an die Bombardierung Serbiens 1999 durch die NATO – künstlich geschaffene Staat aus drei Nationalitäten droht zu zerbrechen. Serbien will dessen Teilrepublik Srpska mit seiner serbischen Mehrheitsbevölkerung auf ein besonderes Podest stellen. Es droht ein Bürgerkrieg.

Aber es geht hierbei nicht nur um einen nationalen Konflikt, sondern um etwas Größeres, nämlich um den gesamten Westbalkan. Ob alle Staaten des Westbalkan letzten Endes Mitglieder der EU werden oder nicht, ist bis heute unklar. Aus der EU kommen teils widersprüchliche Signale, teils spielen geschichtliche Reminiszenzen eine gewisse Rolle.

Jedenfalls bietet die EU bezüglich des gesamten Westbalkans kein einheitliches Bild, geschweige denn eines von zielstrebiger Entschlossenheit. Dem Kenner ist allerdings klar, dass Moskau den ganzen Balkan als sein ureigenes Interessensgebiet betrachtet. Nur eine kleine Anmerkung: Das orthodoxe Bulgarien hat die Herrschaft der Türkei seinerzeit mit russischer Hilfe abgeschüttelt. Wie sehr geschichtliche Ereignisse unterschwellig bis in die Gegenwart herein wirken, braucht an dieser Stelle nicht betont zu werden. Wie überall am Balkan spielt in die ohnehin schon komplizierte Gemengelage das Problem mit der Masseneinwanderung nach Europa herein. So baut Bulgarien derzeit an einem Grenzzaun gegen Griechenland.

Wie auch immer, die USA jedenfalls wollen Russland aus dem Balkan heraushalten und tun daher offen oder im Stillen alles, um den Einfluss der EU auf dem Balkan zu fördern. Umgekehrt nimmt Russland ständig seine Interessen auf dem Balkan wahr und bedient sich dabei Serbiens.

Türkei und Griechenland im Clinch

Mit der Türkei unter Erdoğan hatte die EU zur Eindämmung der Immigration ein Abkommen geschlossen. Gegen viel Geld sollte Erdoğan die Grenzen schließen. Das hinderte diesen Autokraten aber keineswegs, Immigranten nach Griechenland durchzulassen, was besonders die der Türkei nahe gelegenen griechischen Inseln betrifft. Auf dem Festland errichtet Griechenland einen Grenzzaun gegen die Türkei. Die Türkei setzt praktisch die EU unter Druck, denn Griechenland ist erstens ein EU-Mitgliedsland und zweitens sowieso besonders in wirtschaftlicher Hinsicht ein großes Sorgenkind für Europa. Bekanntlich stand sogar die EU-Mitgliedschaft Griechenlands eine Zeit lang auf des Messers Schneide. Über die humanitären Probleme auf griechischen Inseln berichten die Medien immer wieder. Dieses Katz-und-Maus-Spiel mit der EU beherrscht Erdoğan, der wirtschaftlich in einer argen Zwickmühle steckt, vortrefflich. Wer die Artikelserie von Peter Toplack über die Türkei in den Genius-Lesestücken liest, weiß genau Bescheid. Summa summarum setzt auch die Türkei immer wieder die Immigration als Waffe gegen die EU ein.

Dass die so genannte Balkanroute nicht dicht ist, weiß Österreich nur zu genau. Die FPÖ wirft dem Innenminister vor, er spiele nur den „harten Kerl“ in Sachen Immigration, während in Wirklichkeit die Zuwanderungszahlen steigen. Tatsache ist, dass die Zahl der Aufgriffe und illegalen Grenzübertritte an der burgenländischen und steirischen Grenze wieder steigen.

Die Schlepper-Organisationen nützen nicht nur die türkisch-griechische Situation aus, sondern überhaupt die Streitereien sowie die unklare Lage am gesamten Balkan. Hatte sich der frühere österreichische Bundeskanzler noch fälschlicher Weise damit gebrüstet, er habe die Balkanroute geschlossen, so finden Immigranten nach wie vor Wege, um über die Balkanroute nach Mitteleuropa zu gelangen.

Das Problem der Masseneinwanderung hält ganz Osteuropa von Polen über den Balkan bis in den Süden nach Griechenland in Atem. Teils geht es um verschlungene Routen der Schlepper, teils wird die Immigration absichtlich als Waffe gegen die EU von mächtigen Nachbarstaaten Europas genützt. Und überall entstehen ganz gegen den ursprünglichen Willen Brüssels neue Grenzzäune. Die Realität macht Schule. Sogar die Bootsflüchtlinge im Ärmelkanal bringen Zwiespalt zwischen Frankreich und Brexit-England. Europa wird an der Masseneinwanderung bis zu seinem Untergang in der bisherigen Form permanent leiden.

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