Der Krieg in der Ukraine

Von Gerulf Stix

„Wenn Du den Frieden willst, bereite Dich auf den Krieg vor.“ (Si vis pacem, para bellum.) Diese alte römische Weisheit gilt nach wie vor. Die Menschheit hat sich seit dem Altertum nicht geändert. Nur die Technik ist heute eine andere, doch viel gefährlicher als noch im Mittelalter. Russland verwendet bei seinem militärischen Einfall in die Ukraine auch Überschallwaffen für Punktziele, probiert eben das modernste Gerät aus. Der Einsatz von Waffengewalt ist und bleibt die ULTIMA RATIO jeder Politik für Mächte, die sich das leisten können.

Wie in jedem Krieg stirbt zuerst die Wahrheit. Diese Feststellung gilt für alle beteiligten Seiten. Objektive Nachrichten werden durch entsprechende Propaganda ersetzt, unangenehme Tatsachen fallen unter den Tisch. Das war schon früher so, gilt aber angesichts der Massenmedien, des Internet und besonders der Social Media umso mehr. Leider muss bei jeder Analyse von diesem Faktum ausgegangen werden, zumal noch die jahrelange Wühlarbeit der im Verborgenen arbeitenden Geheimdienste dazu kommt.
Grundsätzlich handelt es sich beim Ukraine-Krieg um den Machtkampf zwischen den USA und Russland. Die Ukraine wird in diesem Machtpoker von Washington geopfert. Präsident Putin soll sich an der Ukraine verschlucken. Vermutlich hat sich Putin über die Widerstandskraft der Ukraine getäuscht.

Der nüchterne Analytiker nimmt für keine Seite Partei; sein Publikum erwartet das von ihm. Ansonsten mögen die Emotionen durchaus angebracht sein. Sie werden mitunter auch für nicht artikulierte Ziele eingespannt – einschließlich der Sippenhaftung, die leider auch im Westen grassiert. Unschuldige kommen reihenweise zum Handkuss.
Wie jede Phase eines Machtkampfes hat auch die des Ukraine-Krieges eine komplizierte Vorgeschichte. Rein objektiv, von außen gesehen, ist das Russland Putins im Fall der Ukraine eindeutig der militärische Aggressor. Bezieht man die lange Vorgeschichte ein, dann verschiebt sich dieses Bild. So hat Putin beispielsweise Jahre hindurch immer wieder gesagt, dass für das Vorrücken der NATO (bekanntlich unter US-amerikanischem Oberbefehl) nach Osten die Ukraine die rote Linie sei. Fürst Schwarzenberg hat schon 2014 darauf hingewiesen. Dieser Angehörige des Hochadels war u. a. tschechischer Außenminister; nach seiner Familie, die in der Historie Europas eine bedeutende Rolle spielt, ist in Wien ein berühmter Platz benannt. Es hat eben alles eine lange Geschichte.

Nach der erfolgreichen Auflösung der Sowjetunion unter dem US-Präsidenten Reagan, der dafür die alles überragende Wirtschaftskraft der USA benützte, wurde die Ukraine wieder einmal selbständig. Schon damals zeichnete sich ab, dass geopolitisch Russland sich mit den eng gezogenen Grenzen auf die Dauer nicht abfinden würde. Trotzdem wurde in der Folge in der Ukraine gezündelt. Symbolisch steht dafür der Name Maidan. Die Lage spitzte sich zu.

Mit der Einverleibung der Krim (unter Völkerrechtsbruch, getarnt nur durch eine „Volksabstimmung“) und dem Separatistenkrieg im Donbass zeigte Putin, dass ihm die Sache mit der „roten Linie“ ernst war. Seitdem stand die Ukraine auf dem Speiseplan der russischen Armee ganz oben. Putin mag zurecht Brutalität vorgeworfen werden, nicht aber, dass er sich hinsichtlich seiner militärischen Entschlossenheit verschwiegen hätte. Und militärische Gewalt bleibt nun einmal die Ultima Ratio der Politik zwischen Staaten.

Dass der Westen unter seiner Führungsmacht USA nur mit Wirtschaftssanktionen, nicht hingegen mit Soldaten zum Schutz der Ukraine reagierte, lässt tief blicken. Washington wiederholte mehrfach, dass wegen der Ukraine „kein einziger US-amerikanischer Soldat sterben müsse“. Augenscheinlich wollten und wollen die USA derzeit eine militärische Konfrontation mit Russland vermeiden. Da ist es naheliegend, dass vor einem Dritten Weltkrieg gewarnt wurde. Also wird die Ukraine (zur Überraschung vieler Europäer) militärisch geopfert, das heißt auch verwüstet. Zivile Opfer werden, wie in allen Kriegen, nur für die Öffentlichkeit betrauert. Während in der Gesellschaft Emotionen aufwallen, werden bei den für die Kriege Verantwortlichen bestenfalls Krokodilstränen über tote Zivilisten vergossen.

Die zweischneidigen Wirtschaftssanktionen

Vielmehr setzen die USA auf die langfristig schädigende Wirkung von Wirtschaftssanktionen. Damit haben sie gegenüber Russland schon früher gute Erfahrungen gemacht. Vielleicht funktioniert das auch diesmal, obwohl Russland durch Bildung von Reserven vorgesorgt hatte. Möglicherweise irrt sich Putin bei seiner Bildung von Reserven ein weiteres Mal über die langfristig das Wohlergehen der russischen Bevölkerung schwächenden Sanktionen. Immerhin pokert Putin mit der Umstellung auf den Rubel für die russischen Gaslieferungen, auf die Europa kaum verzichten kann.

Abgesehen von der militärischen Opferung der Ukraine können die USA dabei gleich mehrere Fliegen auf einen Schlag treffen:
Erstens blüht „dank“ der Abhängigkeit Europas mit rund 40 % vom russischen Erdgas das Geschäft mit dem amerikanischen Schieferöl, welches verflüssigt und sodann verschifft wird (LNG). Zweitens treffen die Sanktionen auch westliche Firmen, vor allem europäische. Denn Wirtschaftssanktionen sind zweischneidig und zeitigen daher Auswirkungen, die nicht genau vorhersehbar, geschweige denn berechenbar sind. Doch machte sich von Anbeginn an bemerkbar, dass europäische Unternehmen weit stärker von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten betroffen werden als US-amerikanische. Auch diese Schwächung Europas liegt im Interesse der USA. Drittens erscheint der US-amerikanische Oberbefehl über die NATO stärker denn je gefestigt, weil nur die NATO überhaupt militärischen Schutz gegenüber dem Osten gewähren kann. Das wissen die europäischen Staaten nur zu genau.
Im Schatten des Ukrainekrieges rafften sie sich durch Beschluss endlich dazu auf, wenigstens eine „Eingreiftruppe“ von sage und schreibe 5.000 Soldaten bis 2025 (!) aufstellen zu wollen.

Kommentar überflüssig. Die militärische Ohnmacht der EU kann Washington nur Recht sein.

Sie ist eine logische Folge des erfolgreichen Eingreifens der wirtschaftlichen Großmacht USA in den Zweiten Weltkrieg, freilich seinerzeit zu einem späteren Zeitpunkt.

Österreichs Neutralität

Österreichs „immerwährende Neutralität“ scheint nicht so immerwährend zu sein, wie an jedem 26. Oktober – dem so genannten Nationalfeiertag – behauptet wird. Den Verlockungen einer NATO-Mitgliedschaft erlag abgesehen von Jörg Haider, der sie früher schon forderte, jüngst erst der frühere Nationalratspräsident Dr. Andreas Khol (ÖVP), der sich sogar im österreichischen Fernsehen dafür aussprach. Rasch fuhr ihm Bundeskanzler Nehammer (ÖVP) über den Mund und erklärte jegliche Debatte über die österreichische Neutralität für beendet. Vermutlich erklärt das uneingeschränkte Bekenntnis der FPÖ zur Neutralität Österreichs diese schnelle Reaktion. Die Auslegung der österreichischen Neutralität ist umstritten. Sind Waffendurchfuhren usw. wirklich statthaft? Völkerrechtler haben da so ihre Zweifel. Die FPÖ ist jedenfalls für eine enge Auslegung der Neutralität, wie ihr 5-Punkte-Plan belegt. Den Verfasser der vorliegenden Analyse bedrückt die gewiss irreale Vorstellung, Putin könne „zur Warnung“ eine Fernlenkwaffe in das hinsichtlich Atomwaffen ohnmächtige Deutschland schicken. Was dann wohl passieren würde? Fort mit dieser unrealistischen Vorstellung!

Im Übrigen ist gerade Österreich mit Russland wirtschaftlich in wichtigen Bereichen wie der Energie eng verflochten, woran alle politischen Kräfte seit Langem mitgewirkt haben. Die jahrzehntelange Besetzung durch die Sowjetunion und das äußerst wechselvolle Schicksal der verstaatlichten Industrie (USIA-Betriebe) erklären das. Man mag darüber denken, wie man will. Ausgangspunkt wird immer bleiben, dass es das heutige Österreich als den deutschen „Rest“ des K. u. k. Kaiserreiches Österreich-Ungarn, welches ein Vielvölkerstaat mit über 50 Millionen Einwohnern war und auch einen Teil der Ukraine (!) umfasste, erst seit 1918, dem Jahr der „europäischen Urkatastrophe“, also dem Ersten Weltkrieg, gibt.

Wie der Ukrainekrieg ausgehen wird?

Seit Langem gibt es den bekannten Witz, wonach Prognosen schwierig seien, besonders „wenn sie die Zukunft“ betreffen. Trotzdem sei hier eine Prognose im Sinne einer Wahrscheinlichkeit für den Ukrainekrieg gewagt. Putin kann nicht sein Gesicht verlieren. Obgleich die russischen Bodentruppen nur im Osten und Nordosten der Ukraine eingesetzt wurden, haben wir uns bezüglich der Luftangriffe auf die Gesamtukraine (Punktziele) geirrt. Putin hat auch die russische Luftüberlegenheit genützt, vor allem für Raketen und Marschflugkörper. Er kann eine Erfolglosigkeit, gar eine Niederlage der russischen Armee nicht hinnehmen.

Letztlich wird wahrscheinlich ein Verhandlungsfrieden herauskommen. In diesem wird die Ukraine gebietsmäßig kleiner, neutralisiert und minderbewaffnet, aber als selbständiger und vor allem bündnisfreier Staat bestehen bleiben. Leider verwüstet. Die USA werden stärker dastehen als vorher, die NATO in Europa dominant sein. Die EU wird weiterwursteln wie bisher, ihre politische Ohnmacht noch offenkundiger in Erscheinung treten, aber sie wird sich behaupten. Wie lange Putin in Russland an der Macht bleiben wird, ist offen. Die wirtschaftlichen Folgen werden alle treffen, auch die westlichen Länder und da insbesondere Ost- und Mitteleuropa. Der Dritte Weltkrieg wird vertagt.

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