Der Geist der altösterreichischen Sudetenländer

Von Rüdiger Stix

Was macht uns Menschen einmalig? Diese Frage ist wohl so alt wie die Menschheit selbst, und sie ist eng verwandt mit der Frage, ob, und wenn ja, worin wir Menschen denn so einmalig sind.

Der wahrscheinlich weltweit bedeutendste und wirkungsmächtigste unter den neuzeitlichen Philosophen, der Königsberger Professor Immanuel Kant, fasst diese eine Frage in den berühmten drei Fragen des Menschen zusammen: Woher komme ich? Wohin gehe ich? …und: Worauf kann ich hoffen?

Selbstverständlich steht diese Frage, was denn die Natur des Menschen ist, sehr nahe an der Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt.

Aus der altösterreichischen Tradition der Sudetenländer Böhmen, Mähren und Österreichisch–Schlesien werden wir uns natürlich niemals anmaßen, dass es aus unserer Tradition und aus unserer Geschichte eine neue, eigenständige Interpretation der Conditio Humana gäbe.

Viele Antworten sind weltweit ähnlich, aber sehr viele auch diametral unterschiedlich.

Natürlich wurde der Sinn des menschlichen Lebens auch in unserer eigenen mitteleuropäischen Geschichte durchaus dramatisch unterschiedlich gedeutet, je nachdem, ob man etwa in den Religionskriegen zwischen dem Konzil von Konstanz, mit der Verbrennung von Jan Hus, und bis zum Ende des mörderischen Dreißigjährigen Krieges auf der einen, oder auf der anderen Seite danach gefragt hätte, in den konkurrierenden kirchlichen oder in den unterschiedlichen jüdischen Gemeinden … oder später dann, im 20. Jahrhundert etwa Albert Einstein, der bei seiner Berufung als Ordinarius an die deutsche Karls-Universität angegeben hat, er sei Agnostiker.

Schließlich gibt es in der altösterreichischen Tradition der Sudetenländer die gesamte klassische Breite der mitteleuropäischen Geistesgeschichte, wie fast überall in den europäischen Ländern der Aufklärung, von Genf bis Siebenbürgen, und von Rotterdam bis Granada, um sehr unterschiedliche Strömungen unserer Geistesgeschichte anzureißen.

Mit der industriellen Revolution, natürlich ausgehend von England, treten in Böhmen und in Mähren neben den bedeutenden Geistlichen aus der Kirchengeschichte oder den berühmten Rabbinern in Prag und in Nikolsburg ab dem 19. Jahrhundert auch die Väter der österreichischen Sozialdemokratie mit einem Hegelschen und natürlich auch marxistischem Weltbild auf.

Alles in allem durchaus unterschiedliche Zugänge zur Sinnfrage.

Allerdings gibt es, zu der am Beginn gestellten Frage „was macht denn uns Menschen einmalig?“ Antworten aus der altösterreichischen Tradition der Sudetenländer, die bleibende Weltgeschichte geschrieben haben:

Beginnen wir historisch mit Gregor Johann Mendel, Gymnasiast aus Troppau, der dann als Abt von St. Thomas des Augustinerordens in Brünn zum Vater der Genetik geworden ist.

Seine grundlegenden Entdeckungen zur Genetik gelten bis heute, und seine Nachfolger konnten inzwischen im letzten Jahr sogar den Chemie-Nobelpreis mit der neuentdeckten Gen-Schere erlangen.

Ebenfalls aus Brünn spannt Ernst Mach die Wissenschaft von der Sinnesphysiologie bis zur Physik, und den geistigen Bogen von Immanuel Kant bis zu Albert Einstein.

Aus dem sudetendeutschen Judentum Mährens tritt dann Sigmund Freud als Professor der Medizin in Wien mit der ersten psychotherapeutischen Wiener Schule (vor Adler und dann Viktor Frankl als zweite und dritte der Wiener therapeutischen Schulen). Natürlich sind wir heute im Lichte der Neuropsychologie um vieles weiter vorangeschritten, aber seine Fragestellungen waren wegweisend.

Aber bleiben wir nochmals in Brünn, wo Kurt Gödel geboren wurde und seine Schulen besuchte, um dann in der Zwischenkriegszeit (nach seiner Matura im Jahre 1924) an der Universität in Wien theoretische Physik, Philosophie und Zahlentheorie zu studieren.

Wir haben schon früher Kurt Gödels Diskussionen im Wiener Kreis betrachtet, wo er auch seine Frau Adele kennenlernte, und seine Arbeiten in den USA, wo er gemeinsam mit John von Neumann am Start des „Institute for Advanced Studies“ in Princeton gestanden ist.

Seine Übersiedlung in die USA mit seiner Frau Adele, auf Einladung u. a. von John von Neumann, erfolgte 1940 von Wien aus mit der Transsibirischen Eisenbahn.

Alle, die jetzt historisch überrascht sind, seien daran erinnert, dass zu diesem Zeitpunkt die Sowjetunion und das Deutsche Reich im Hitler-Stalin-Pakt verbündet waren, weswegen für Bürger des Reiches die Benutzung der Transsibirischen unproblematisch war – und die USA befanden sich noch nicht wieder in den Weltkriegen.

In den USA sehen wir dann später Kurt Gödel und Albert Einstein gemeinsam spazieren, ein Anblick, der die Zeitgenossen in ehrfürchtiges Erstaunen versetzt hat, wenngleich der Anblick der beiden Titanen in ihrer physischen Erscheinung erstaunlich war.

Einstein hatte ja bekanntlich eine gewisse Abneigung gegen Socken, und Kurt Gödel, seit seiner Jugend kränkelnd, war stets mit Mantel und warm angezogen unterwegs.

Es wird berichtet, dass Albert Einstein die Diskussionen mit Kurt Gödel sehr geschätzt hat, denn es war Kurt Gödel, der ihm auch offen zu widersprechen wagte – und dies, obwohl er Einstein verstanden hat.

Wie auch immer es im Detail gewesen sein mag, die Freundschaft der beiden überragenden Genies war von tiefem Respekt getragen, auch wenn Einstein eher lebensfroh und ein Freund der Klassik war, während Kurt Gödel sowohl am Jazz als auch an der Micky Maus Gefallen fand, und stets mit Krankheiten rang, trotz der steten Hilfe durch seine Frau Adele, und natürlich hatten beide Herren eine gemeinsame sudetendeutsche Vergangenheit.

Albert Einstein wirkte bekanntlich als Professor an der deutschen Karls-Universität in Prag, und daher dann auch als Staatsbürger des österreichischen Kaiserreiches, und Kurt Gödel natürlich als klassischer Vertreter des Bildungsbürgertums aus Brünn, am Weg bis über die Unendlichkeit hinaus.

In allen Lehrbüchern unserer Erde ist daher Kurt Gödel mit seinen Unvollständigkeitssätzen ein Wendepunkt in der Mathematik der Menschheit.

Im Jahre 1931 formuliert er aber auch die Grundlagen der theoretischen Computerwissenschaften, denn frühe Computer, also mechanische Rechner, gab es ja schon länger, man denke nur an die ersten funktionsfähigen lochkartengesteuerten Webstühle am Beginn der industriellen Revolution von England ausgehend … und zwar zu Zeiten Maria Theresias.

Alle diese Rechnersteuerungen waren sehr wirksam, aber sie basierten auf klassischer Algebraik.

Die theoretischen Computerwissenschaften waren noch nicht gefordert, und die Ideen von künstlicher Intelligenz gab es natürlich in den Träumen und Mythen der Menschheit. Sie waren aber nicht verknüpft mit lochkartengesteuerten Webstühlen.

Dies änderte sich schlagartig mit Kurt Gödel, genau genommen mit seinen Arbeiten des Jahres 1931, in denen er de facto nicht nur die theoretischen Computerwissenschaften gestartet hat, sondern auch die mathematischen Grundlagen Künstlicher Intelligenz(en), auch wenn man diese Begriffe erst später verwendet hat.

Es war dann einer der maßgeblichen Väter der modernen Künstlichen Intelligenz, Jürgen Schmidhuber, der sehr präzise in Anlehnung an Kurt Gödel eine universelle, selbstreferentielle Problemlösungsmaschine als Gödel-Maschine beschrieben hat.

Etwas vereinfacht gesagt, ist ein derartiges künstlich-intelligentes Programm in der Lage, sich selbst als Programm zu überschreiben, sobald es eine verbesserte Problemlösung erreicht hat, womit diese Gödel-Maschine von Jürgen Schmidhuber zu einem permanent weiterlernenden selbstreferentiellen universalen Problemlöser wird.

Lassen wir beim heutigen Stand der Wissenschaft offen, ob, bzw. ab wann derartige Gödel-Maschinen auch so etwas erreichen, was wir „Bewusstsein“ nennen würden, oder vielleicht sogar eine Selbstreflexionsfähigkeit, die darüber hinausgeht.

Kurt Gödel würde vielleicht vermuten, dass dies nicht entscheidbar ist – zumindest nicht mit unserem derzeitigen Wissensstand.

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Bildquelle:

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