PISA 2018 ist „nicht die große Jubelbotschaft

Von Dieter Grillmayer

PISA steht für „Programme for International Student Assessment“ und überprüft die Kenntnisse und Fähigkeiten eines Geburtsjahrganges von Fünfzehn- bis Sechzehnjährigen in Mathematik und Science (= Naturwissenschaften) sowie die Lesekompetenz. Die Tests werden seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre von der OECD mit wechselnden Schwerpunkten durchgeführt, im Dezember des Folgejahres wird das Ergebnis veröffentlicht. Die Benennung erfolgt nach dem Jahr der Aufnahme.

Die Auswertung von PISA 2018 wurde am 3. Dezember 2019 bekannt gemacht und hat in Österreich etwas weniger Aufregung verursacht als das bei früheren Verlautbarungen dieser Art der Fall war. Für die damalige Bildungsministerin Dr. Iris Rauskala sind die Resultate „nicht die große Jubelbotschaft, aber auch kein Grund zu großer Sorge“. Sie glaube, dass die in den vergangenen Jahren eingeleiteten Maßnahmen wie die Einführung von Deutschklassen bzw. Deutschförderkursen oder die verstärkte Deutschförderung im Kindergarten richtig gewesen seien. Man könne das nur (noch) nicht aus dem Ergebnis ableiten. Letzterem ist zuzustimmen.

Eine Nachschau hat ergeben, dass ich zum PISA-Thema bisher drei Texte verfasst habe, die in den Genius-Heften 1/2005 und 1/2007 sowie im Genius-Brief Jänner/Februar 2017 veröffentlicht wurden. Daraus ist u. a. ablesbar, dass ich diese Art des internationalen Leistungsvergleichs im Großen und Ganzen positiv beurteile. Und in meinem Buch „Schule zwischen Anspruch und Zeitgeist“, welches im Genius-Brief Mai/Juni 2012 ebenfalls einen Niederschlag gefunden hat, wird ausführlich die österreichische Bildungspolitik der letzten 50 Jahre beleuchtet, die zum Niedergang eines einstmals vorbildlichen Schulsystems geführt hat. Schuld daran sind eine von der SPÖ betriebene Schulpolitik unter weltfremden ideologischen Vorgaben und eine ÖVP, die dem (aus Feigheit und/oder aus Unvermögen) nichts Eigenständiges entgegengesetzt hat, sondern untaugliche Kompromisse eingegangen ist, um nicht als „Reformverweigerer“ angeprangert zu werden.

Daher werde ich mich hier auf die Wiedergabe der konkreten Daten, wie sie zustande gekommen sind und welches Bild sie ergeben, sowie auf eine kritische Beurteilung dazu abgegebener Kommentare und auf ein paar Reformvorschläge beschränken, wiewohl ich befürchte, dass „Bildung“ in der neuen schwarz/türkis-grünen Bundesregierung eher ein Dissens-Thema sein wird und folglich kein großer Wurf zu erwarten ist. (Im Regierungsprogramm konnte man sich offenbar nur darauf einigen, alle Schüler auf Staatskosten mit Laptops auszustatten. In Australien ist ein solches Projekt wegen Kontraproduktivität schon wieder eingestellt worden.) Umso wichtiger wäre das Setzen eines Bildungsschwerpunktes seitens der FPÖ; deren Parteiführung wurde durch die jüngst durchgeführte Mitgliederbefragung ja auch der Auftrag dazu erteilt.

Zur Aufgabenstellung und zur Validität der Studie

PISA 2018 war die bisher größte Schülervergleichsstudie mit rund 600.000 getesteten Jugendlichen in 79 Ländern. Haupttestfeld war zum dritten Mal nach 2000 und 2009 das Lesen: Das bedeutet, dass rund die Hälfte aller Aufgaben aus diesem Gebiet stammte und Leseaufgaben als einziges Testfeld von allen teilnehmenden Schülern bearbeitet wurden.

PISA testet nicht Lehrplanvorgaben ab – das wäre aufgrund der unterschiedlichen Curricula in den 79 Ländern auch gar nicht möglich. Im Mittelpunkt steht weniger Faktenwissen, sondern die Anwendung bestimmter Kompetenzen auf praxisnahe Aufgaben. (Daher wird PISA von einigen Kritikern etwas überspitzt auch als reiner Intelligenztest bezeichnet.) Zu lösen sind sowohl Multiple-Choice-Aufgaben wie auch offene Aufgaben, bei denen selbst eine Antwort formuliert werden muss. Außerdem müssen Aussagen oder Textteile mit Drag-and-Drop in die richtige Reihenfolge gebracht, im Text ein fehlendes Wort aus einem Drop-down-Menü ausgewählt oder in den Naturwissenschaften Computersimulationen ausgeführt werden.

Allein diese Form der Aufgabenstellung relativiert die (u. a.) in der NZZ vom 8. Dezember 2019 veröffentlichte abwertende Kritik: „Die PISA-Studie ist ein großartiges Marketingprodukt. Sie gaukelt der ganzen Welt ein Bildungsideal vor, das es nicht gibt. Als Instrument für die Schulpolitik ist sie nicht nur untauglich, sondern auch gefährlich. Höchste Zeit für die Schweiz, die Übung abzubrechen.“ Diesem Statement liegt offenbar die Verärgerung eines Schweizers darüber zugrunde, dass die Schweiz vom 15. Rang bei PISA 2015 auf den 22. Rang abgestürzt und sogar in ihrer Paradedisziplin Mathematik von drei europäischen Staaten überholt worden ist. (Es wäre interessant, zu erfahren, ob die Schweiz in den letzten Jahren den bis dahin bevorzugten konservativen Mathematik-Unterricht „modernisiert“ hat.)

Von „Bildungsideal“ ist bei PISA überhaupt keine Rede, sondern nur von Kompetenzen, welche die Schule ihren Absolventen fürs Leben mitzugeben vermag. Dass Bildung über die durch die OECD testabgeprüften Fertigkeiten hinausgeht, ist unbestritten. Wie es in einem Land darum bestellt ist, kann aus dessen Kulturklima und aus dem in den Familien als Keimzellen der Gesellschaft herrschenden Bildungsbewusstsein abgeleitet werden. Es ist allerdings zu vermuten, dass sich diese Faktoren auch auf das PISA-Ergebnis des jeweiligen Landes auswirken.

Ein zweiter NZZ-Kommentator begründete die Spitzenplätze der Ostasiaten (sieben Länder bzw. Regionen und Sonderverwaltungszonen unter den ersten zehn) mit dem „Drill“, dem die Jugendlichen dort ausgesetzt sind, und den wir „aufgeklärte“ Europäer selbstverständlich ablehnen. Drillen kann man aber nur die Wiedergabe von etwas Eingelerntem, nicht hingegen selbstständiges Denken und Problemlösen. Im Sinne der im letzten Absatz geäußerten Vermutung kann man wohl davon ausgehen, dass im Bewusstsein der Ostasiaten Erziehung und Unterricht als Grundlagen für Bildung und verantwortliches Handeln noch einen größeren Stellenwert haben als bei uns, wo im Gefolge der 1968er-Bewegung ein Kulturverlust eingetreten ist. Mein jüngst beruflich in Japan tätig gewesener Sohn schwärmt von der dortigen Hochkultur, vor allem im Umgang der Menschen miteinander, wovon wir Europäer nur noch träumen können.

Durch intensiven Computereinsatz wurde 2018 erstmals eine Neugestaltung des Testablaufs möglich. Schüler bekamen nicht mehr am Beginn des Tests ein fix vorgegebenes Aufgabenheft. Vielmehr enthielt nur der erste Aufgabenblock mittelschwere Angaben – anschließend bekamen jene Schüler, die diese gut gelöst hatten, einen Block mit schwierigeren Aufgaben eingespielt und jene, die nicht gut abgeschnitten hatten, einen Block mit leichteren. Diese adaptive Herangehensweise solle verhindern, dass leistungsstärkere Schüler den Test nach einiger Zeit nicht mehr ernst nehmen beziehungsweise leistungsschwächere nicht frustriert alles hinschmeißen, begründete der OECD-Generalsekretär Ángel Gurría diese Adaption. Die Resultate sind trotzdem vergleichbar, da jede Frage einen vorbestimmten Schwierigkeitsgrad hat. Für die Lösung schwererer Aufgaben gibt es demnach mehr Punkte, für leichtere weniger.

Die Länderergebnisse im globalen Vergleich

In der folgenden Tabelle habe ich die Punkteergebnisse der Teilnehmer (Länder, Regionen, Sonderverwaltungszonen) bis zum 30. Rang im Lesen, in Science und in Mathematik aufgelistet, die Reihenfolge richtet sich nach der jeweiligen Punktesumme. China (Rang 1) führt den Test nur im Regionencluster Peking-Schanghai-Jiangsu-Zhejiang durch; Erklärungen und Kommentare dazu folgen im Anschluss an die Tabelle. Macau und Hongkong sind chinesische Sonderverwaltungszonen.

RangLand/RegionLesenScienceMathem.Summe
1China (4 Regionen)5555905911736
2Singapur5495515691669
3Macau5255445581627
4Hongkong5245175511592
5Estland5235305301583
6Japan5045295271560
7Südkorea5145195261559
8Taiwan5035165311550
8Kanada5205185121550
10Finnland5205225071549
11Polen5125115161539
12Irland5184965001514
13Slowenien4955075091511
13Vereinigtes Königreich5045055021511
15Neuseeland5065084941508
16Schweden5064995021507
16Niederlande4855035191507
18Dänemark5014935091503
19Deutschland4985035001501
20Belgien4934995081500
21Australien5035034911497
22Schweiz4844955151494
23Norwegen4994905011490
24Tschechien4904994991488
25USA5055024781485
26Frankreich4934934951481
27Portugal4924924921476
28Österreich4844904991473
OECD-Mittelwert4874894891465
29Lettland4794874961462
30Russland4794874881454

Angesichts des Vorsprungs der vier chinesischen Städte bzw. Provinzen wies Ángel Gurría darauf hin, dass diese vier ostchinesischen Regionen zwar „nicht repräsentativ für das ganze Land sind“, aber mehr als 180 Millionen Menschen repräsentieren. Diese Bildungsergebnisse seien umso „bemerkenswerter, als das Einkommensniveau dort deutlich niedriger ist als im OECD-Schnitt. Die Qualität ihres heutigen Bildungsangebots wird sich morgen in der wirtschaftlichen Stärke dieser Regionen niederschlagen“. Sogar die am stärksten sozial benachteiligten zehn Prozent der Testteilnehmer aus diesem Regionencluster hätten ein höheres Lesekompetenzniveau aufzuweisen als der OECD-Durchschnitt (487 Punkte) beträgt. Vor diesem Hintergrund und angesichts des in den vergangenen zehn Jahren im OECD-Raum verzeichneten Anstiegs der Ausgaben pro Schüler im Primar- und Sekundarbereich um mehr als 15 Prozent sei es „enttäuschend“, dass sich die Schülerleistungen in den meisten Teilnehmerländern seit der ersten PISA-Erhebung im Jahr 2000 „praktisch nicht verbessert haben“.

Ein Vergleich mit PISA 2015 ergibt, dass hinsichtlich der ersten zehn Ränge nur die Reihenfolge eine andere ist. Nach wie vor sind nur drei nicht ostasiatische Länder (Estland, Kanada und Finnland) unter den ersten zehn. Auch dahinter halten sich die Verschiebungen in Grenzen. Um mehr als fünf Plätze abgebaut haben Deutschland und Norwegen (6) sowie die Schweiz (7). Um mehr als fünf Plätze verbessert haben sich Tschechien und die USA (6), Polen (8), Schweden (9) und das Vereinigte Königreich (10). Aus den ersten Dreißig herausgefallen sind Vietnam und Spanien zugunsten von Lettland und den USA.

Zum aktuellen PISA-Ergebnis hinsichtlich der Leseleistung vermerkte der OECD-Generalsekretär in seinem Bericht, „dass in den Teilnehmerländern weniger als ein Zehntel der Schüler in der Lage ist, anhand von impliziten Hinweisen in Bezug auf Inhalt oder Informationsquelle zwischen Tatsachen und Meinungen zu unterscheiden. Nur in den genannten vier chinesischen Regionen, in Kanada, Estland, Finnland, Singapur und den USA stellte mehr als ein Siebentel der Testteilnehmer ein solches Lesekompetenzniveau unter Beweis“. Bildung müsse in Hinkunft also mehr leisten als die Vermittlung von Wissen, also den Jugendlichen helfen, „einen verlässlichen Kompass zu entwickeln, mit dem sie sich in einer komplexen, vieldeutigen und volatilen Welt zurechtfinden können“.

Gurría spricht hier die Politische Bildung an, die nach allen ernsthaften Analysen in Europa schon lange zu wünschen übrig lässt. Das ist vor allem eine Folge der Tatsache, dass viele Lehrer ihre Schüler mit den eigenen politischen Ansichten indoktrinieren, statt die ihnen anvertrauten Kinder und Jugendlichen sachlich zu informieren, sie im Sinne Immanuel Kants zur Mündigkeit zu erziehen und Meinungspluralität zuzulassen. Diesem Thema und insbesondere dem Wirken eines Politologie-Professors, der den Österreichern im ORF mit zunehmendem Eifer seine Sicht der Dinge aufdrängt, werde ich mich voraussichtlich in einem künftigen Genius-Beitrag zuwenden.

Das Österreich-Ergebnis im europäischen Vergleich

In Österreich nahmen an der Erhebung rund 6.800 Jugendliche aus mehr als 290 Schulen aller Sparten teil, in welche Schüler des Geburtsjahrgangs 2002 gehen können. Das sind AHS, berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS), Neue Mittelschulen (NMS), polytechnische Schulen, Sonderschulen und Berufsschulen.

Beim Test von 2015 lagen die österreichischen Schüler im damaligen Haupttestgebiet Naturwissenschaften mit 495 Punkten knapp über dem OECD-Schnitt (493 Punkte), beim Lesen mit 485 Punkten signifikant unter dem OECD-Mittelwert (494 Punkte) und in Mathematik mit 497 Punkten über dem OECD-Schnitt (490 Punkte). Mit einer exakt dem OECD-Mittelwert entsprechenden Gesamtpunktezahl von 1477 Punkten erreichte Österreich damals den 27. Rang, diesmal mit 1.473 Punkten als letztes Land über dem OECD-Mittelwert (1.465 Punkte) den 28. Rang. Zwischen 2015 und 2018 gab es bei den österreichischen Leistungen demnach keine signifikanten Veränderungen.

In Mathematik schnitten die österreichischen Schüler mit 499 Punkten um zehn Punkte besser ab als der OECD-Schnitt, der 489 Punkte beträgt (bei PISA 2012 erreichte Österreich in Mathematik aber noch 506 Punkte). Die europäischen Spitzenreiter sind hier Estland (523 Punkte) vor den Niederlanden (521 Punkte) und Polen (516 Punkte). Bei den Naturwissenschaften liegt Österreich mit 490 Punkten ganz knapp über dem OECD-Schnitt (489 Punkte), europäische Spitzenreiter sind hier Estland (mit 530 Punkten um 40 Punkte besser als Österreich) vor Finnland (522 Punkte) und Polen (511 Punkte). Beim Lesen liegen unsere Schüler mit 484 Punkten um drei Punkte unter dem OECD-Schnitt (487 Punkte). Von den europäischen Ländern liegen wieder Estland (523 Punkte) vor Finnland (520 Punkte) und Irland (518 Punkte) an der Spitze. Allerdings ist zu bedenken, dass der Anteil der aus Migrantenfamilien kommenden österreichischen Probanden in der Stichprobe von 20 Prozent auf 22,7 Prozent weiter zugenommen hat, während dieser Anteil im OECD-Schnitt nur bei 12,5 Prozent liegt. Ein geringer Ausländeranteil kommt in der europäischen Statistik natürlich vor allem Estland und Polen zugute.

Folgende Begleitabfragen vermögen die eher schlechte Lesekompetenz der österreichischen Jugendlichen zu begründen: Zu Hause sprechen 75 Prozent der aus Migrantenhaushalten kommenden Schüler nicht Deutsch, und 53 Prozent aller Testteilnehmer gaben an, nur dann zu lesen, wenn sie dazu ausdrücklich angehalten würden. Hochgerechnet bedeutet das Ergebnis der Stichprobe, dass ca. ein Viertel der österreichischen Fünfzehn- und Sechzehnjährigen kaum lesen bzw. die gelesenen Zusammenhänge nicht verstehen kann. Liegt es da nicht auf der Hand, dass es der Wirtschaft immer schwerer fällt, geeignete Lehrlinge aufzutreiben, und dass die Anzahl der Facharbeiter und der qualifizierten Angestellten in Österreich immer weiter zurückgeht? Außerdem glauben inzwischen schon mehr als die Hälfte der Jugendlichen bzw. deren Eltern, der Besuch einer höheren Schule sei für sie das einzig Richtige.

Geschlechterunterschiede und Bildungsgefälle

Hinsichtlich der Geschlechterunterschiede hat sich die Lesefertigkeit der Mädchen (499 Punkte) gegenüber den Burschen (471 Punkte) weiter verstärkt, was aber im internationalen Vergleich nicht ungewöhnlich ist. In der Mathematik haben die Mädchen (492 Punkte) gegenüber den Burschen (505 Punkte) zwar leicht aufgeholt, trotzdem gehört Österreich nach wie vor zu den Ländern, wo diese Diskrepanz signifikant ist. In den Naturwissenschaften gibt es hingegen keine geschlechtsspezifischen Leistungsunterschiede.

Ich habe die „Mathematikschwäche“ der Mädchen schon mehrmals thematisiert, und meine eigenen Erfahrungen als Mathematik-Lehrer sind schon vor 20 Jahren in den Aufsatz „Mädchen und Mathematik“, veröffentlicht im Jahresbericht des BRG Steyr 1998/99, eingegangen. Danach werden allfällige Begabungsdefizite durch den größeren Arbeitseifer der Mädchen in der Regel mehr als ausgeglichen. In „meinen“ gemischten Klassen lag der Notendurchschnitt der Burschen zumeist unter dem ihrer weiblichen Mitschüler.

Wie zu erwarten (und völlig unsachlich als ungerechtfertigtes „Erbe“ beklagt) besteht in Österreich weiterhin ein erheblicher Unterschied bei den Schülerleistungen in Bezug auf den höchsten Schulabschluss der Eltern. So erreichten beim Lesen Akademikerkinder 509 Punkte, Jugendliche aus Elternhäusern mit Maturaabschluss 491 Punkte, bei über dem Pflichtschulabschluss angesiedelten Eltern 473 Punkte und bei Eltern mit höchstens Pflichtschulabschluss nur 420 Punkte. Nun lassen sich genetische Bedingtheiten selbstverständlich nicht wegdiskutieren und auch das bei den Eltern vorhandene Bildungsbewusstsein geht in der Regel auf die Kinder über. Ein völliger Ausgleich der daraus erwachsenden Unterschiede ist unmöglich; ein größtmöglicher Ausgleich könnte nur durch die exzessive Bewerbung intellektueller und kultureller Standards, wie sie die europäische Aufklärung entwickelt hat, in allen Schichten der Bevölkerung herbeigeführt werden. Dazu wären aber auch Vorbilder in der Politik und im sonstigen öffentlichen Leben gefragt, die bei uns aber zunehmend mit der Lupe gesucht werden müssen.

Wünschenswerte Reformmaßnahmen

Auch wenn für Frau Dr. Rauskala, die inzwischen als Leiterin der Präsidialsektion ins Unterrichtsministerium zurückgekehrt ist, „kein Grund zu großer Sorge“ besteht – ich halte das Abschneiden Österreichs bei den PISA-Tests, vor allem in Hinsicht auf das Ergebnis vergleichbarer europäischer Länder, für beschämend. Wie es dazu gekommen ist, habe ich in der Einleitung bereits formuliert. Und die von der knapp 42jährigen Sektionschefin geäußerte Meinung, zu den Glanzlichtern ihrer Ministertätigkeit hätte die Freistellung vom Unterricht für Schüler gehört, die an den Fridays-For-Future-Demonstrationen teilnehmen wollen, sowie dass sie der Digitalisierung des Unterrichts höchste Priorität einräume, stimmt mich für die Zukunft auch nicht gerade optimistisch.

Mit der Bildung der ÖVP-FPÖ-Reformregierung im Dezember 2017 haben die im Freiheitlichen Österreichischen Lehrerverband (FLV-Ö) organisierten Lehrer den Wunsch verbunden, dass diese Regierung einschneidende neue Weichenstellungen in der Bildungspolitik vornimmt, und sie haben dazu auch ein Konzept vorgelegt. Als zentrales Anliegen wurde darin die „humane Leistungsschule“ gefordert, also die Rückkehr zu einem effizienten Schul- und Bildungssystem, das jedes Kind im Rahmen seiner Möglichkeiten optimal zu fördern in der Lage ist. Im Wesentlichen habe ich dem damaligen FPÖ-Bildungssprecher dazu folgende Maßnahmen vorgeschlagen:

  • Reformen im Bereich der Grundschule: a) Kinder, die dem Unterricht aufgrund mangelnder Deutschkenntnisse nicht folgen können, sind in Deutsch(förder)klassen einzuschulen, bis die größten Schwierigkeiten behoben sind. b)Die Abschaffung der Notenbeurteilung sowie des Wiederholens von Schulstufen in der Volksschule sind zurückzunehmen.
  • Reformen im Bereich der Mittelstufe: a) In der Neuen Mittelschule (NMS) ist neben der inneren Differenzierung auch eine äußere zu ermöglichen. Kleine Gruppen dürfen schon etwas kosten, dafür ist auf Zweit- und Drittlehrer zu verzichten. b)Für die Aufnahme in eine Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS) braucht es gerechte Aufnahmemodalitäten (Aufnahmegespräch, Tests, Probezeit). Die von der Volksschule dekretierte „AHS-Reife“ ist extrem ungerecht. c) „Basic Latin“ ist als Unterrichtsfach in der 3. und 4. Klasse jeder AHS zu implizieren, die dann auch wieder einheitlich (wie in Deutschland) „Gymnasium“ genannt werden könnte.
  • Maturareform: a) Evaluierung der Zentralmatura hinsichtlich ihrer Anforderungen. b)Vorwissenschaftliche Arbeiten nur als Möglichkeit, nicht obligatorisch. c) Objektive Beurteilung der Zentralmatura durch „Fremdlehrer“. d) Abschaffung der Kompensationsprüfungen.
  • Lehrerausbildung: a) Pädagogische Grundausbildung für alle Lehrerkategorien. b)Für Pflichtschullehrer soll ein Bachelor-Abschluss genügen, für Oberstufenlehrer ist ein Master-Abschluss zwingend. Letzterer muss sich aber nicht in einer höheren Besoldung abbilden, weil der Unterricht in Unterstufenklassen mindestens ebenso fordernd ist wie der in Oberstufenklassen.
  • Korrekturen am Schulunterrichtsgesetz: a) Mobbing und Gewalt, auch in der Sprache, müssen rigoros bekämpft werden. b) Schulstrafen (Nachsitzen, „Strafaufgaben“) sind wieder zuzulassen, um Leistungsbereitschaft und gutes Benehmen gegebenenfalls auch erzwingen zu können. c) Das Aufsteigen mit „Nicht genügend“, das seit gut 40 Jahren mehr oder weniger willkürlich gehandhabt wird, ist neu zu ordnen. Damit könnte sich auch die „Neue Oberstufe“ (NOST) erübrigen. d) Der Lehrer bestimmt das Unterrichtsgeschehen. Der klassische frontale Ganzklassenunterricht (statt „Gruppenarbeit“) und durchkomponierte Lehrgänge (statt „Projektunterricht“) dürfen nicht diskriminiert werden.

Bereits im Genius-Brief Jänner/Februar 2018 habe ich unter dem Titel „Die neue Bundesregierung und ihr Bildungsprogramm“ die Tatsache beklagt, dass nur ein kleiner Teil dieser Forderungen explizit und ein paar Formulierungen mit viel Interpretationsspielraum in das Regierungsprogramm Aufnahme gefunden haben (eigenständige ÖVP-Wünsche habe ich überhaupt keine entdeckt). Und hinsichtlich der Durchführung des Programmes hat sich dann auch noch Unterrichtsminister Dr. Heinz Faßmann als „Bremser“ erwiesen. Seinen eigenen Aussagen zufolge war ihm sogar die Einführung der Deutschklassen und der Ziffernnoten in der Volksschule zuwider, und das ist so ziemlich das Einzige, was in den gut 16 Monaten der schwarz/türkis-blauen Reformpartnerschaft im Schulbereich überhaupt zustande gekommen ist.

Dafür wurden Herbstferien eingeführt, von denen im Regierungsprogramm aber gar nichts zu lesen war. Auch das ist ein Hinweis darauf, was im Unterrichtsministerium Vorrang hat und was nachrangig ist. Dem FPÖ-Schulsprecher gegenüber habe ich vorab die Meinung geäußert, dass die ins Auge gefasste zusätzliche Ferienwoche gegen folgende Grundsätze verstößt, die für mich in der heutigen Zeit unabdingbar sind:

Die schulfreien Tage, abgesehen von den großen Ferien sowie den Weihnachts- und Osterferien – mit den Semesterferien wird ohnehin nur die Wirtschaft bedient – sind den freien Tagen in der Arbeitswelt anzupassen.

Die Unterrichtszeit ist auszuweiten, nicht einzuengen. Die zusätzliche Zeit hat ausschließlich der Einübung und Wiederholung zu dienen, nicht der Lehrstoffausweitung. Damit ließe sich auch die häusliche Übungszeit einschränken – eine weitere Entlastung für die Eltern.

In diesem Sinne habe ich vorgeschlagen, die zwei Dienstage nach Ostern und Pfingsten, den Tag des Landespatrons und den Allerseelentag als Schulfeiertage sowie alle schulautonomen Tage ohne Ausweitung der Ferien abzuschaffen. Dafür sollten alle Zwickelfreitage und alle Zwickelmontage für ganz Österreich einheitlich freigegeben werden, weil das dem Familienleben zugute kommen kann, was bei Herbstferien, Semesterferien und willkürlich in die Woche hineingesetzten schulfreien Tagen nicht der Fall ist. Den Protesten von Schüler- und Lehrervertretern sei gelassen zu begegnen. Bis in die Mitte der 1970er-Jahre hinein hat es weder Semesterferien noch schulautonome Tage gegeben, seither hat also eine erhebliche Ausweitung der schulfreien Tage stattgefunden. Schule und Unterricht sind dazu da, um gehalten zu werden, und nicht, um auszufallen.

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Bildquelle:

  • Pisatest: Theo Müller via Wikimedia (CC BY-SA 2.5, zugeschnitten)

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