Eine Buchbesprechung von Gerulf Stix
„Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich Veränderungsprozessen nicht ausweichen kann und auch nicht möchte, sie aber mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln – das ist die Analyse und die Publizistik – mitgestalten möchte.“
Mit diesen Worten auf Seite 365 seines Buches „Der Staat an seinen Grenzen“ beschreibt Thilo Sarrazin selbst ganz klar seinen persönlichen Standort. Als ehemaliger Berliner Finanzsenator und langjähriges Mitglied der SPD wurde Sarrazin im Juli 2020 aus seiner Partei ausgeschlossen, nur weil er es unverdrossen gewagt hatte, seine wahre Meinung gegen die in Deutschland betriebene Willkommenskultur, sprich: Masseneinwanderung aus kulturfremden Weltregionen, in Wort und Schrift zu bekunden. Nimmt es da noch wunder, wenn die SPD in Deutschland mehr und mehr schrumpft? Dass es auch anders geht, erwähnt Sarrazin selbst am Beispiel Dänemarks: „Die Einreisesperre und das gesamte Maßnahmenpaket der sozialdemokratisch geführten Regierung machten Dänemark für Asylbewerber nicht mehr attraktiv.“ (Seite 385) Nicht zuletzt deswegen wurden die dänischen Sozialdemokraten bei der Wahl im Juni 2019 sogar zur stimmenstärksten Partei.
Über weite Strecken ist dieses Buch ein ebenso weit ausholendes wie knapp gehaltenes Geschichtsbuch. Es geht weltweit der Frage nach, in welchem Ausmaß Wanderungsbewegungen die Menschheitsgeschichte beeinflusst haben.
Einerseits stellt Sarrazin fest, dass Bevölkerungsaustausch „eine Konstante in der gesamten Menschheitsgeschichte“ ist. (Seite 165) Andererseits bemerkt er nach genauer Analyse der tatsächlichen Vorgänge aber, dass es „in der Einwanderungsgeschichte der Menschheit von der Vorgeschichte bis heute keine Unvermeidlichkeiten“ gibt. Aus der Geschichte erfahren wir, dass die meisten der wirksamen großen Einwanderungen entweder in nur spärlich besiedelte Räume oder massiv zu Lasten der ortsansässigen Bevölkerung erfolgten. Die Schlussfolgerungen des insgesamt sehr ausgewogenen, um nicht zu sagen: reifen Buches, führen uns direkt in die europäische (und US-amerikanische) Gegenwart und ihre Einwanderungspolitik. Vor allem mit der europäischen und da in erster Linie mit der mitteleuropäischen Einwanderungspolitik befasst sich der Buchautor, wie das ja aus seinen bisherigen Büchern bekannt ist, ganz besonders intensiv. Nicht von ungefähr betitelte sich Sarrazins erstes Buch „Deutschland schafft sich ab“.[1]
Der Buchautor geht auch auf jenes häufig vorgebrachte Argument ein, angesichts des tragischen Geburtendefizits in Deutschland sei es wirtschaftlich erforderlich, die beim eigenen Nachwuchs entstandene Lücke durch Masseneinwanderung zu schließen. Er könnte diesem Argument sogar etwas abgewinnen, „wenn überwiegend knappe Facharbeiter, Ingenieure und IT-Experten zuwanderten“. Aber genau das findet nicht statt! Im Gegenteil, so schreibt Sarrazin: „Die weitaus meisten Einwanderer aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten haben eine schlechte oder fehlende Schulausbildung und nur selten eine bei uns verwertbare Ausbildung.“ (Seite 266) Damit erledigt sich das Argument, Masseneinwanderung sei nötig, um den Facharbeitermangel zu beheben. In dem Buch finden sich dazu noch weitere Widerlegungen.
Noch wichtiger sind die Hinweise auf Wohlstandsvermehrung sogar bei schrumpfender Bevölkerungszahl.
Ausführlich wird in dem Buch auf das japanische Beispiel eingegangen. In Japan gibt es seit Langem keine nennenswerte Einwanderung. Trotzdem wurde und ist dieses Land eine der führenden Industrienationen in der Welt und besitzt einen hohen Lebensstandard. Aber auch auf andere Staaten wird verwiesen, die eine „sehr selektive Einwanderungspolitik“ betreiben, darunter Kanada, Australien und Neuseeland. (Seite 371) Auf Seite 286 werden tabellarisch die langfristigen Trends der Bevölkerungsentwicklung für ausgewählte Regionen dargestellt. Erschreckend ist besonders eine Zahl: Im Jahr 2100 werden gemäß einer mittleren Prognose allein in Subsahara-Afrika 34,7 Prozent der Weltbevölkerung leben! Auch andere Zahlen haben es sozusagen „in sich“: Europa wird dann nur mehr 5,8 % der Weltbevölkerung stellen, Deutschland nur mehr 0,7 %. Den dadurch entstehenden Wanderungsdruck kann man unschwer erahnen.
In einem ganzen Unterkapitel rechnet Sarrazin mit dem UN-Migrationspakt ab. (Seite 224 ff) Bekanntlich hat Österreich diesen Pakt nicht unterschrieben, während die bundesdeutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel „zur Unterzeichnung des Migrationspakts nach Marokko reiste“. Sarrazin spricht über den UN-Migrationspakt von einer „Dreistigkeit der dort niedergelegten Unwahrheit“ und nennt dessen Vision unverblümt „eine Lüge“. Die Ausführungen Sarrazins lassen keinen Zweifel an ihrem Sinne zu. Der Angriff des Migrationspaktes selbst gelte der „Welt des (noch) überwiegend weißen Abendlandes in ihrem ethnischen und kulturellen Kernbereich“.
Auch der Terroranschlag in Wien war im Kern ein Angriff auf das noch „überwiegend weiße Abendland“. Abgesehen einmal vom Versagen des österreichischen Nachrichtendienstes, stand dieser blutige Terrorakt offensichtlich im Zeichen des politischen Vordringens des Islam in Europa durch entsprechende Einwanderung zu Lasten der seit Generationen ansässigen Bevölkerung. Dafür spricht der Umstand, dass der islamische Terrorist an die 20 Mitwisser hatte! Jetzt empört aufzuschreien, steht jenen Rot-Grünen schlecht an, die seit Jahrzehnten offene Grenzen verlangen und Masseneinwanderung als „kulturelle Bereicherung“ begrüßen. Migration in großem Umfang ist eben kein taugliches Mittel, um gesellschaftliche Harmonie herzustellen.
Das Buch titelt sich nicht von ungefähr „Der Staat an seinen Grenzen“. Sehr gründlich wird auf ein wirksames Grenzregime eingegangen. Denn: „Auch eine sehr gut gesicherte und bewachte Grenze ist niemals völlig undurchlässig.“ (Seite 397) Und wieder eine harsche Kritik: „Angela Merkel hat an vielen Stellen deutlich gemacht, dass sie offene Grenzen bevorzugt, Grenzkontrollen und Einreisesperren dagegen verabscheut.“ Konsequent befasst sich das Buch mit Grenzschutz, Grenzsicherung und der geschichtlich erhärteten Wirkung von Grenzmauern bzw. Grenzzäunen. Kritik wird am Schengen-Raum geübt: „Der Schengen-Raum ist der klassische Fall einer Idee, die gut angedacht, aber schlecht durchgeführt wurde.“ Sarrazin macht viele Vorschläge, wie der Schengen-Raum ausgestaltet werden müsste, damit seine Außengrenze tatsächlich einer Grenzziehung nahekommt. Dazu fordert er eine „realistische Asylpolitik“,[2] ohne die ein wirksamer Grenzschutz nicht möglich sei. „De facto ist das deutsche Asylrecht das zentrale Einfallstor für ungeregelte Masseneinwanderung geworden.“ (Seite 412)
Auch der Abschiebe-Thematik wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Sarrazin verlangt eine konsequente Abschiebung von Nicht-Aufenthaltsberechtigten. Ganz trocken schreibt er: „Wenn sich jemand ohne Aufenthaltsrecht auf meinem Privatgrundstück befindet und dieses trotz Aufforderung nicht verlässt, rufe ich die Polizei und lasse die betreffende Person abführen“. (Seite 404) Er macht gleichfalls einige Vorschläge, wie Abzuschiebende auch gegen ein widerstrebendes Sträuben ihres jeweiligen Herkunftslandes dorthin zurückgebracht werden können. Ausreden lässt er nicht gelten. In Deutschland waren Ende 2018 zwar 192.000 abgelehnte Asylwerber rückreisepflichtig, aber es wurden lediglich 22.100 Abschiebungen vollzogen! Bei konsequenter Abschiebung würden sich „die Pull-Faktoren des Migrationsgeschehens erheblich verringern“, schreibt Sarrazin.
Im Schlusskapitel stellt Sarrazin nüchtern fest: „In Politik und Medien gibt es eine zunehmende Tendenz, einen kritischen Blick auf Einwanderung ins Illegitime zu verschieben. So wird ein offener gesellschaftlicher Diskurs über das, was wir als Volk, Nation und Gesellschaft eigentlich wollen, behindert und durch die stramme Haltung einer dem Zeitgeist verhafteten politischen Korrektheit ersetzt.“ Deutlicher kann man es nicht sagen.
Zum Klimawandel verweist Sarrazin auf die global entstandene Bevölkerungsexplosion hin: „Auch die Umweltbelastungen auf der Welt, einschließlich des Ausstoßes an CO2 (nämlich um ein Drittel), wären weitaus geringer“, selbst wenn sich eine Welt mit nur 2,5 Milliarden Menschen einen Pro-Kopf-CO2-Ausstoß wie gegenwärtig in Deutschland leisten würde. Und so gelangt er zur Einsicht: „Es berührt merkwürdig, dass das Bevölkerungswachstum als Ursache des Klimawandels in der öffentlichen Debatte kaum stattfindet.“
Dieses Buch gehört in jede Bibliothek. Es endet mit einem achtundreißigseitigen Verzeichnis aller Anmerkungen sowie mit einem fünfzehnseitigen Stichworte-Abc. Beherzigenswert klingen Sarrazins persönliche Schlussworte: „Verdrängen, Vergessen und Schönreden helfen hier nicht und sollten in der gesellschaftlich notwendigen Debatte auch nicht geduldet werden.“
Anmerkungen
[1] Vgl. Thilo Sarrazin, „Deutschland schafft sich ab“, DVA, Berlin 2010, derzeit über 1,5 Mio. Auflage.
[2] Vgl. die Besprechung des Buches von Fritz Söllner, „System statt Chaos – Ein Plädoyer für eine rationale Migrationspolitik“, Lesestück Nr. 8 im Genius-Brief Jänner–Februar 2020.
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Bildquelle:
- Thilo_Sarrazin_Leipziger_Buchmesse_2014: Lesekreis via Wikimedia