„Wer wir sind – Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“ – Teil II

Eine Buchbesprechung von Wolfgang Schimank

Anmerkung der Redaktion: Mit dem vorliegenden Text hat GENIUS-Autor Wolfgang Schimank nicht nur sehr ausführlich das 2019 in der Schriftenreihe der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung und im Berliner Aufbau-Verlag erschienene Streitgespräch-Buch der Journalistin Jana Hensel und des Kultursoziologen Wolfgang Engler „Wer wir sind; Die Erfahrung ostdeutsch zu sein“ (ISBN 978-3-351-03734-5, 288 Seiten) gründlich und kritisch rezensiert, sondern das Manuskript stellt seinerseits ein Kapitel des aktuellen Buches von Wolfgang Schimank dar, für das die GENIUS-Lesestücke exklusiv die Vorabdruck-Erlaubnis erhalten haben. Aus Platzgründen waren geringfügige Kürzungen sowie eine Teilung unerlässlich. Nach dem ersten, in der vorigen Genius-Ausgabe erschienenen Teil lesen Sie hier den zweiten Teil:

Im Buch „WER WIR SIND – Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“ beschäftigen sich lediglich zwei Kapitel intensiv mit den „ostdeutschen“ Befindlichkeiten. Es sind die Kapitel 2 und 3. Der Buchtitel verspricht diesbezüglich etwas mehr…

Auf den Seiten 49 und 50 berichtet Jana Hensel, wie 1990 in Sachsen das Baden-Württembergische Schulmodell eingeführt wurde. Sie gehörte zum ersten Jahrgang, der nach diesem Modell das Abitur machte. Im Geschichtsunterricht kam die DDR so gut wie gar nicht vor. Sie spürte wohl, dass das nicht ihre Geschichte ist. Als Reaktion darauf beschäftigte sie sich umso intensiver mit der DDR. Das war gewissermaßen die Suche nach den eigenen Wurzeln.

Ursachen der überdurchschnittlichen Wahlerfolge der AfD in den NBL

Die überdurchschnittlichen Wahlerfolge der AfD in den Neuen Bundesländern (NBL) sieht Wolfgang Engler nicht in der, wie Leitmedien gern behaupten, „vermeintlich obrigkeitsstaatlichen, führerorientierten“ Erziehung in der DDR, sondern in den dramatischen Umbrüchen in den 1990er-Jahren begründet. „Indem man die Herkunftsgesellschaft der Ostdeutschen für jegliches kritikwürdiges Verhalten verantwortlich macht, legitimiert man die strukturellen Gebrechen und Ungerechtigkeiten der Ankunftsgesellschaft.“ Diese Aussage entspricht in meinen Augen nicht ganz der Wahrheit. Denn es ist nicht ausgemacht, wie viele „Ostdeutsche“ allein aufgrund der Erfahrungen in den 1990er-Jahren (Engler meint damit das Treiben der Treuhandgesellschaft) den Glauben an diese Gesellschaftsordnung verloren haben bzw. nach „links“ und nach „rechts“ gedriftet sind. Das wäre zweifelsohne ein Thema für eine wissenschaftliche Studie. Soviel steht aber fest: Die PDS/Linke konnte weder hiervon, noch von den „neoliberal“ geprägten sozialpolitischen Maßnahmen der rot-grünen Regierung um das Jahr 2000 (Einführung von Hartz IV u. a. m.) bei Wahlen profitieren…

Die große Mehrheit der ehemaligen DDR-Bürger hatte gelernt, den Medien und den Machthabern zu misstrauen. Nach einer kurzen Zeit der Euphorie wurden die ehemaligen DDR-Bürger vom kapitalistischen Gesellschaftssystem bitter enttäuscht. Sie bekamen nicht den Rheinischen Kapitalismus, den „humanen“ Kapitalismus, sondern einen wesentlich aggressiveren. Das hängt damit zusammen, dass mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Wirtschaftssystems die Globalisierung an Fahrt aufnahm und bisherige soziale Sicherungsmaßnahmen zunehmend als Luxus angesehen wurden. Nicht wenige westdeutsche Unternehmen übersprangen die neuen Bundesländer und gründeten lieber in Osteuropa oder in Asien ihre Tochterunternehmen. Immer wieder gab es Fälle, wo Betriebsdirektoren der ehemaligen Volkseigenen Betriebe, die der Treuhand unterstanden, also ehemalige DDR-Kader, sich wie Kapitalisten aus dem 19. Jahrhundert gebärdeten. Englers Ursachenforschung beschränkt sich nur auf die ökonomischen Verhältnisse der 1990er-Jahre.

Das Misstrauen der „Ostdeutschen“ gegenüber den Medien

Einen Aspekt ließ er vollkommen unter den Tisch fallen: Das wieder erwachte Misstrauen der ehemaligen DDR-Bürger gegenüber den Medien. Hier sollen die Stationen dieser Entwicklung kurz genannt werden:

  • In der DDR glaubten die Menschen, dass sich die westdeutschen Medien, von kleinen politischen Einfärbungen abgesehen, immer an die Wahrheit hielten. Als nach anfänglicher Euphorie über die Wiedervereinigung in westdeutschen Medien zunehmend die Bilder des „Jammerossis“ und des undankbaren neuen Bundesbürgers die Runde machten, begann bei den ehemaligen DDR-Bürgern der Nimbus der unfehlbaren Westpresse zu zerbröseln.
  • 2002 wurde gegen den Willen der „Ostdeutschen“ der Euro eingeführt. Es dauerte nicht lange, bis Betrügereien durch Griechenland und Italien aufflogen, bis Rechtsbrüche durch EZB und Politik begangen wurden, ohne dass das die Leitmedien störte. Als herauskam, dass Griechenland bei den Euro-Eintrittskriterien massiv gelogen hatte, wurden in der deutschen Presse (und anderswo) die Bedenken mit der Begründung beiseite gewischt, schließlich sei Griechenland das Land mit der ältesten Demokratie. Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
  • Ähnlich verhielt es sich 2005 mit der Einführung von Arbeitslosengeld II (Hartz 4), welches insbesondere die „Ostdeutschen“ betraf, die in den Leitmedien keine Lobby hatten.
  • Bei der Ukrainekrise ab 2014 kamen noch die Russophobie und die Kriegslust der westdeutsch dominierten Mainstream-Medien hinzu, auf die man in den neuen Bundesländern mit Verärgerung und Unverständnis reagierte.
  • Als Angela Merkel ab 2015 echte und unechte Flüchtlinge unkontrolliert ins Land ließ, mutierten die Mainstream-Medien zu einer wahren Jubelpresse. Zudem wurden kritische Stimmen aus dem Ausland totgeschwiegen und der Eindruck vermittelt, als seien im Ausland alle von Merkels Politik begeistert.

Der Anfang des neuen Jahrtausends war also der Zeitpunkt, zu dem bei den „Ostdeutschen“ die Glaubwürdigkeit der westdeutsch geprägten Leitmedien endgültig verspielt wurde. Das „Westfernsehen“ ist den ehemaligen DDR-Bürgern abhandengekommen. Diese Rolle nehmen zunehmend alternative Medien und Medien aus der Schweiz ein.

Es bleibt also festzuhalten, dass zu den Themen Euro-Politik, Abbau der Souveränität durch den Euro und den Vertrag von Lissabon, Ukraine-Krise, Flüchtlingskrise u. a. m. oft nur Halbwahrheiten berichtet oder die damit verbundenen Probleme vollkommen verschwiegen wurden. Auch alle etablierten Parteien sind in seltsamer Einigkeit darin verbunden, diese Themen öffentlich möglichst nicht anzusprechen. Wer in der Bevölkerung weiß denn schon, dass „dank“ der Niedrigzinspolitik durch die EZB die Deutsche Rentenversicherung als „Strafe“ für erwirtschaftete Überschüsse jährlich Strafzinsen in zweistelliger Millionenhöhe bezahlen muss und die klassische Lebensversicherung mittelfristig zerstört wird? Insbesondere viele junge Menschen kennen nicht den Unterschied zwischen EG und EU. Der ist aber gravierend! Bei dem Niveau der Nachrichtensendungen von ARD und ZDF ist das auch kein Wunder. Denn dort bringen die Moderatoren Klaus Kleber, Gundula Gause, Caren Miosga, Ingo Zamperoni und Petra Gerster die Begrifflichkeiten Euro-Zone, EU und (das geographische) Europa munter durcheinander, was ich für eine journalistische Fehlleistung sondergleichen halte. Es wird stets von „Europa“ geredet. Oder ist das ideologisch so gewollt? Verfolgt man bei ARD und ZDF politische Sendungen, hat man den Eindruck, als gäbe es nur die EU.

Wer in der Bevölkerung weiß schon genau, was bei den Unruhen auf dem Maidan-Platz in Kiew im Februar 2014 oder am 2. Mai 2014 in Odessa in und um das Gewerkschaftshaus wirklich passiert ist?[1] Das liegt nicht daran, dass die BRD keine guten Investigativ-Journalisten hat. So gibt es beispielsweise den Deutschen Investigativ-Rechercheverbund. Viel eher sind Schweigen und Halbwahrheiten zu bestimmten Themen in Leitmedien darin begründet, dass sie sich einer Agenda unterworfen haben. Die deutschen Leitmedien bewegen sich immer mehr in Richtung einer ideologiegesteuerten Lückenpresse. Die „Ostdeutschen“ stören sich daran sehr, denn sie sind ein politisch sehr interessiertes Völkchen und hinterfragen die Medien noch mehr als es die Westdeutschen tun.

Das Misstrauen der „Ostdeutschen“ gegenüber der Politik

Diese Sachlage verstärkte in den neuen Bundesländern auch das ohnehin schon existierende Misstrauen gegenüber der Politik. Das führte dazu, dass

  • CDU und SPD immer mehr den Charakter einer Volkspartei verlieren,
  • linksorientierte Personen zur Wahl der Linken, der Nachfolgepartei der SED, tendieren
  • und für die konservativ oder liberal eingestellten „Ostdeutschen“ nur noch die AfD oder, lokal begrenzt, die Freien Wähler als Ansprechpartner übrigblieben.

Bei der letzten Bundestagswahl profitierte die FDP vom Umstand, dass ein Teil der Wähler eigentlich die AfD wählen wollte, sich aber im letzten Moment für die Liberalen entschied. Das lag zum einen daran, weil einige führende AfD-Funktionäre sich ein Eigentor schossen, indem sie sagten, dass sie nicht angetreten sind, um zu regieren, und zum anderen daran, dass einige Wähler durch die massiven medialen Angriffe auf die AfD und den Aufbau eines Schreckensszenarios zutiefst verunsichert waren. Ein anderer Teil hoffte, dass die FDP eine harte Oppositionsarbeit zu Merkels Alternativlos-Politik leisten würde. Da das aber nicht passiert ist und sie sich zudem nicht ernsthaft für die Beseitigung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes einsetzte, werden wohl bei der nächsten Bundestagswahl die Karten eher zuungunsten der FDP neu gemischt werden. Ob die AfD davon profitieren wird und ob sie, wenn sie die Macht erhielte, alles besser machen würde, ist ungewiss. Auch wenn zuweilen von einigen Vertretern der AfD an politischen Suizid erinnernde Äußerungen kommen, kann keiner ernsthaft behaupten, dass alle Feststellungen dieser Partei falsch oder unwahr sind. Die hohen Wahlergebnisse für die AfD in den neuen Bundesländern sind einerseits ein Zeichen für einen hohen Grad an Verzweiflung und Wut der „Ostdeutschen“ und andererseits eine Bankrotterklärung der etablierten Parteien. Anstatt in sich zu gehen, reagieren Letztere mit der Ausgrenzung Andersdenkender und Beschimpfungen des Wahlvolkes und bestenfalls mit der Aussage, man müsse die eigene Politik dem (dummen) Volk nur besser erklären…

Die Feststellung, dass die etablierten Parteien sich weit vom Volk entfernt haben, ist gewiss keine Verschwörungstheorie. Hierzu zwei Beispiele:

  • In einer Diskussion bei Twitter im Mai 2020 wurde die Parteivorsitzende Saskia Esken von einer Person aus dem Einzelhandel darauf hingewiesen, dass die Politiker vom Volk subventioniert werden. Eskens verblüffende Antwort war: „Und ich zahle daraus [aus den Diäten] nicht nur Steuern, ich kaufe davon jeden Tag ein. Wer finanziert jetzt wen?“[2] Damit gab sie einerseits ihre ökonomische Unkenntnis der Öffentlichkeit zum Besten und bewies andererseits, dass ihr wenig bewusst ist, dass sie zu 100 Prozent vom Volk finanziell ausgehalten wird. Aus dieser Wissensgemengelage erklärt sich die Selbstbedienungsmentalität vieler Politiker und ihre Arroganz gegenüber dem Volk… Hierzu noch ein kleiner Hinweis: In meinem Buch „Ist Deutschland ein souveräner Staat?“ habe ich auf den Seiten 166 bis 176 genau geschildert, wie sich die Politiker den Staat zur Beute gemacht haben.
  • Bei Erwähnung der Person Mario Draghi, dem ehemaligen Chef der EZB, werden viele Deutsche wütend und denken automatisch an seine Rechtsbrüche und an die Enteignung der Sparer. Ungefähr 95 Prozent aller Ostdeutschen wollten den Euro nicht haben! Umso unverständlicher ist, wenn auf Vorschlag von Außenminister Heiko Maas der deutsche Bundespräsident Walter Steinmeier Mario Draghi kürzlich „für seine Verdienste“ mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete.[3], [4] Außer der „Welt“ war keine einzige deutsche Zeitung darüber empört. Die „Neue Zürcher Zeitung“ attestierte Steinmeier „mangelnde Sensibilität“ und beklagte die „Entfremdung von Politik und Bürgern“…

Ich hoffe, der Leserschaft im Gegensatz zu Jana Hensel und Wolfgang Engler erklärt zu haben, in welchem Dilemma sich die „Ostdeutschen“ befinden, und warum die AfD im Osten so viel Zuspruch erhält. Denn darin sehe ich ein großes Manko im Buch „Wer wir sind“.

Sind die „Ostdeutschen“ mit den „Migranten“ vergleichbar?

Jana Hensel berichtet, wie die ältere „ostdeutsche“ Generation in den 1990er-Jahren große Anpassungsprobleme angesichts vieler gesellschaftlicher Umbrüche hatte. Kinder müssen oftmals den Älteren erklären, was los ist, sozusagen „übersetzen“. Sie vergleicht das mit Flüchtlingsfamilien, die heutzutage in der BRD die gleichen Probleme haben. Hier muss ich Hensel widersprechen: Zum einen ist das ein prinzipielles Problem bei gesellschaftlichen Umbrüchen in der Menschheitsgeschichte. Auf die deutsche Geschichte bezogen gab es Anpassungsprobleme, als 1918 das Deutsche Kaiserreich und 1945 das Deutsche Reich zusammenbrachen. Nach dem Beitritt der DDR zur BRD im Jahre 1990 änderte sich für die DDR-Bürger so ziemlich alles. Besonders hart traf es die „Ostdeutschen“, die nicht nur ihre Arbeit, sondern durch die Vereinbarung im Einigungsvertrag „Rückgabe vor Entschädigung“ ihr Haus, ihre Wohnung oder ihr Wochenendgrundstück verloren. Sie können durchaus mit den Flüchtlingen aus den verloren gegangenen ostdeutschen Gebieten verglichen werden. Dass die jetzigen echten und unechten Flüchtlinge keine Deutschen sind und eine andere Kultur haben, wird in Hensels oberflächlicher Betrachtung, die all zu oft auch bei ARD, ZDF und den deutschen Leitmedien anzufinden ist, einfach weggelassen. Da sich für die ehemaligen DDR-Bürger so ziemlich alles änderte, waren Familie und Heimat oftmals die einzigen Bezugspunkte, der einzige Halt.

Jana Hensel fährt fort: „Eine Facette der ostdeutschen Erfahrung ist ja auch diese wohl historisch einmalige, quasimigrantische Erfahrung der Ostdeutschen, fremd im eigenen Land zu werden, ohne das eigene Land verlassen zu haben. Sie ist Teil jener größeren Marginalisierungserfahrung.“ Das Gefühl, fremd im eigenen Land zu sein, gibt es bei den meisten ehemaligen DDR-Bürgern in der Tat.

Die Entstehung der „ostdeutschen“ Identität

Wolfgang Engler stellt die Theorie auf, dass sich die „ostdeutsche“ Identität bzw. das Wir-Gefühl „in der Abstoßung von der DDR“ formten. Diese Aussage muss ich komplett ablehnen. Vielmehr entstand diese Identität durch die Ablehnung der Westdeutschen, die ehemaligen DDR-Bürger als gleichwertige Menschen in der Gesellschaft des vereinigten Deutschlands zu betrachten. Zudem wurden ihre Quellen für den Lebensunterhalt, die Betriebe, zum großen Teil durch die Treuhandgesellschaft zerstört. Das war kein punktuelles, auf einzelne Personen beschränktes, sondern ein kollektives Erlebnis. In keinem anderen Ostblockland hatte es in der ersten Hälfte der 1990er-Jahre einen vergleichbar schweren wirtschaftlichen Kollaps gegeben wie auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Als Konsequenz daraus verließen allein 1993 1,4 Millionen ehemalige DDR-Bürger ihre Heimat und gingen nach Westdeutschland, was wiederum dazu führte, dass sich die Altersstruktur dramatisch änderte. Die Haltung der „Ostdeutschen“ zur DDR ist keineswegs homogen, auch nicht die Ablehnung (die „Abstoßung“) der DDR. So gibt es Menschen,

  • die über den Zusammenbruch der DDR verbittert sind und ihr Lebenswerk zerstört sehen,
  • die im vereinten Deutschland nie Fuß fassen konnten, sich zuerst über die Vereinigung der beiden deutschen Staaten gefreut hatten, nun aber lieber die DDR zurückhaben wollen,
  • die den Beitritt der DDR zur BRD als eine Herausforderung in ihrem Leben betrachten und
  • die noch jung sind, die DDR kaum oder gar nicht erlebt, aber ein verklärtes Bild haben und sich nach der DDR sehnen bzw. mit ihr nichts anfangen können.

Damit wäre Wolfgang Englers Theorie zur Entstehung eines „ostdeutschen“ Wir-Gefühls zwar widerlegt. Dennoch kann ich mich darüber nicht freuen. Denn aus dieser Analyse kann man erkennen, wie fragil die Zustimmung zur neuen BRD in den Neuen Bundesländern ist! Und die Globalisierung schreitet weiter voran und erzeugt vornehmlich in Europa neue Verlierer und in Asien neue Gewinner…

Beim Weiterspinnen seiner Gedanken bemühte Engler den Begriff der dialektischen Aufhebung aus der Hegelschen Philosophie. Demnach muss ein Widerspruch aufgelöst, muss etwas zerstört werden, um das Beste daraus zu bewahren, es schätzen zu lernen. Er sagt: „Die Menschen mussten die DDR überwinden, um für sich herausfinden zu können, was an ihr, an dem Leben, das man in dieser Gesellschaft führte, als tradierbar gilt, in Würde und vielleicht sogar mit Stolz erzählbar ist. In der Konvergenz dieser persönlichen Bestandsaufnahme formte sich das ostdeutsche Idiom.“ Hier wird Engler philosophisch, was für manchen Leser etwas hochtrabend klingen mag. Es ist richtig, dass viele ehemalige DDR-Bürger erst dann merkten, welche Sicherheiten und mitunter auch andere positive Dinge ihnen durch den Systemwechsel verlorengingen. Diese Wehmut kam aber erst, als viele Zukunftspläne im neuen vereinten Deutschland platzten wie Seifenblasen. Die sogenannte „dialektische Aufhebung“ wurde also von den „Ostdeutschen“ nicht absichtlich herbeigeführt.

Ein erheblicher Teil der ehemaligen DDR-Bürger war sehr naiv und glaubte, mit dem neuen Personalausweis/Pass, mit der Währungsumstellung und mit einer kaum merkbaren Privatisierung der Wirtschaft wäre der Systemwechsel vollzogen, das Leben könnte ansonsten wie gehabt weitergehen. Welch ein Trugschluss! Dort, wo man in der DDR kein Westfernsehen empfangen konnte, waren dieser Irrglaube und dann die Enttäuschung auch am größten. Anstatt in der Heimat um bessere Lebensbedingungen zu kämpfen, gingen nach 1990 viele ehemalige DDR-Bürger in den Westen. Gewiss, die Entscheidung, nach Westdeutschland umzuziehen, fiel keinem leicht. Aber selbst dort konnten sie ihrer Identität nicht entrinnen und kamen nicht umhin, Vergleiche mit Errungenschaften in der DDR zu machen.

1989/1990 gab es in der zu Ende gehenden DDR schon Diskussionen, bei der Vereinigung beider deutscher Staaten die Vorzüge von DDR und BRD zu übernehmen. Seit die deutsche Bundesregierung vom Inhalt des Schürer-Papiers wusste, gab sie den Kurs in der DDR vor. Durch den Beitritt der DDR zur BRD war keine Übernahme von positiven Errungenschaften der DDR möglich und auch gar nicht gewollt. So bleiben den ehemaligen DDR-Bürgern nur die Erinnerungen und die Hoffnung, dass die jetzigen bundesdeutschen Geschichtsschreiber die DDR-Geschichte nicht in Siegermanier verzerrt darstellen.

Jana Hensel bedauerte und war darüber erzürnt, wie viele aus ihrer Generation die „westdeutsche Erfahrung für ihre eigene zu halten“ begannen. Das war für sie der Anlass, ein Buch zu verfassen. Wolfgang Englers Feststellung, dass die „ostdeutsche“ Identität erst sehr spät, gegen Ende der 1990er-Jahre/Anfang 2000 entstanden ist, dürften viele Leser zustimmen. Hingegen dürfte ihnen seine Äußerung „Bis 1989 waren die in der DDR lebenden Menschen Ostdeutsche an sich, danach wurden sie zu Ostdeutschen für sich“, ein Rätsel aufgeben.

Weiters beschrieben Jana Hensel und Wolfgang Engler, dass man als ehemaliger DDR-Bürger Mut benötigte, sich bei höheren beruflichen und politischen Positionen öffentlich zur „ostdeutschen“ Identität zu bekennen. Es war bisher in der westdeutsch geprägten Gesellschaft erfolgversprechender, das zu verschweigen. Als Beispiel wurde Angela Merkel genannt. Sie sei nach Meinung von Wolfgang Engler „zutiefst ostdeutsch“. „Eine Ostdeutsche par excellence!“ fügte Jana Hensel hinzu. Angesichts der außergewöhnlich vielen Begünstigungen, die ihr widerfahren sind, haben viele ehemalige DDR-Bürger große Schwierigkeiten, sie als eine typische „Ostdeutsche“ anzusehen…

Die Haltung der Autoren und ihre Äußerungen zur AfD und zu Pegida

Jana Hensel und Wolfgang Engler beklagten, dass die AfD bei den Wahlen in den Neuen Bundesländern doppelt so hoch zweistellige Prozentzahlen erzielte. Hensel bezeichnet die AfD als „rassistische, fremdenfeindliche und antidemokratische Partei“. Allerdings gibt sie sich keine Mühe, Beweise für ihre Aussage vorzulegen. Mit der Bundestagswahl 2017, als die AfD erstmals in den Bundestag einzog, sei möglicherweise das Ende der Nachwendezeit eingeläutet worden, „weil der Erfolg der AfD, erst einmal gänzlich wertfrei gesagt, die bisher größte Emanzipationsleistung der Ostdeutschen darstellt.“ Was will Hensel damit sagen? Dass die „Ostdeutschen“ es mit dieser Wahl geschafft haben, die Westdeutschen zu schockieren und zu zeigen, dass viele mit der vornehmlich westdeutsch geprägten Bundespolitik nicht einverstanden sind? Die Erklärung bleibt sie dem Leser schuldig. Jana Hensel zeigt sich auch darüber erschrocken, wie viele ehemalige DDR-Bürgerrechtler heutzutage auf der Seite von AfD und Pegida stehen und sieht darin einen großen Widerspruch: „Die DDR-Opposition war eine emanzipatorische Bewegung, war eine urdemokratische Bewegung. Während ich eben Pegida und die AfD für eine undemokratische, unemanzipatorische Bewegung halte. Deshalb stimmt auch das Argument nicht, das man in diesem Zusammenhang öfter hört: Ich bin damals gegen den Mainstream geschwommen, deshalb tue ich es heute wieder. Das ist eine Lüge.“

Fehlentwicklungen, die den Aufstieg von AfD und Pegida ermöglichten

Ich denke, Jana Hensel macht es sich mit ihrer Erklärung nach dem Warum zu einfach. Die Motive, sich bei Pegida oder bei der AfD zu engagieren, sind wohl höchst unterschiedlich. Sie speisen sich aus persönlichen Erlebnissen und aus den wahrgenommenen gesellschaftlichen Veränderungen. Bei Letzteren gab es seit dem Beitritt der DDR zur BRD mehrere ungünstige Entwicklungen:

  • Die Printmedien konzentrieren sich in immer weniger Hände.
  • Die Leitmedien sind fast ausschließlich westdeutsch geblieben.
  • Die Leitmedien werden immer stärker durch transatlantische Organisationen beeinflusst.
  • Bei den Journalisten der Leitmedien fand eine Verschiebung der Parteiaffinität in Richtung links-grün statt.
  • Anstelle von objektiver Berichterstattung findet zunehmend Haltungsjournalismus/Erziehungsjournalismus statt.
  • Die Lehre von den vier Gewalten in einem demokratischen Staat trifft in der BRD immer weniger zu, da die Verquickung von Medien und Politik zunimmt.
  • Es findet eine auffallend freundliche Berichterstattung zugunsten der EU, des Euros, der Zerstörung des Nationalstaates und der Flüchtlingspolitik Merkels statt, wobei die negativen Folgen auf die Deutschen möglichst verschwiegen werden.
  • Bei den Leitmedien grassiert eine zunehmende antirussische Haltung, die im Interesse der USA ist.
  • Die gesetzeswidrige Grenzöffnung im September 2015 durch Angela Merkel hat ihre Nachwirkungen in vielfältiger Weise bis zum heutigen Tage.
  • Politiker treten bei nachgewiesenen Fehlern immer seltener zurück.
  • Die Kluft zwischen Arm und Reich ist dramatisch auseinandergegangen.
  • Die Bundespolitik ist vorwiegend westdeutsch geprägt.
  • Die Einführung des Euros erfolgte gegen den Willen der „Ostdeutschen“.
  • Die „Ostdeutschen“ fühlen sich im vereinten Deutschland nicht nur in der Politik unterrepräsentiert.
  • Viele Ungerechtigkeiten, die die ehemaligen DDR-Bürger nach dem Beitritt der DDR zur BRD hinnehmen mussten, wurden bis heute nicht korrigiert.
  • Die Ausgrenzung und Stigmatisierung Andersdenkender durch Medien und Politik und die verweigerte Diskussion führten zu einer tiefen Spaltung der Gesellschaft.
  • Durch Medien und Politik erfolgt eine zunehmende Einengung der Meinungsfreiheit.

Das ist nur ein kleiner Auszug aus einer ganzen Reihe von Fehlentwicklungen. Sind Jana Hensel diese Fakten entgangen? Oder kann sie diese durch ihre ideologische Brille nicht sehen? Zu ihrer kleinen Ehrenrettung sei erwähnt, dass in diesem Zusammenhang das Wort „Globalisierung“ gefallen ist. Sie sagte etwas hochtrabend: „Pegida ist nicht mehr verlinkt mit DDR, und auch der Wahlerfolg der AfD ist nicht mehr verlinkt mit einer Diktaturerfahrung, sondern Pegida und die AfD sind verlinkt mit einer Globalisierungserfahrung und markieren einen Themenwechsel: Es sind die Nachwende-Erfahrungen, die jetzt besprochen werden.“ Prinzipiell mag sie Recht haben, dass die Nachwendezeit für die Vertreter von AfD und Pegida ausschlaggebend für ihr Handeln sind. Der größere Zuspruch in den Neuen Bundesländern lässt sich aber darauf zurückführen, dass die Menschen in der DDR das Misstrauen gegenüber Politikern und Medien verinnerlicht haben. Zudem ist die Parteibindung bei Wahlen bei den „Ostdeutschen“ nicht so groß wie bei den Westdeutschen. Insofern spielt zumindest für die Anhänger und Wähler von AfD und Pegida in den neuen Bundesländern die DDR-Vergangenheit schon eine Rolle. Mittlerweile ziehen die Westdeutschen in ihrer Skepsis gegenüber Politik und Medien langsam nach.

Das Versagen der etablierten Parteien

Der Zuspruch zu AfD und Pegida liegt bei den unteren Schichten der Bevölkerung auch darin begründet, dass sich viele Menschen von den etablierten Parteien nicht mehr vertreten fühlen: Die Grünen sprechen eher Teile der wohlbehüteten Mittelschicht an, die Sozialdemokraten eher Angestellte des öffentlichen Dienstes. Die Zeit, als die SPD eine Volkspartei war, ist längst vorbei. Durch die Globalisierung ist der SPD und den Linken die Arbeiterklasse abhandengekommen. Mir scheint, als seien für diese Parteien die in Deutschland lebenden Ausländer und die echten und unechten Flüchtlinge das Ersatzproletariat. Grüne, Sozialdemokraten und ein bedeutender Teil der Linken sind transatlantisch und globalistisch ausgerichtet. Die eigene Nation spielt in ihrer Gedankenwelt so gut wie keine Rolle mehr. Zwischen Politik und Volk, insbesondere den unteren Schichten, herrscht eine gewisse Sprachlosigkeit. Der ehemalige deutsche Bundespräsident Joachim Gauck brachte es 2016 in einem Interview mit einer ARD-Journalistin unfreiwillig auf den Punkt: „Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind momentan das Problem.“[5]

Gauck, der vor seiner Amtszeit das Wort „Freiheit“ oft in den Mund nahm, sowie Walter Steinmeier, der oft von „Demokratie“ spricht, lehnten, als sie in der Funktion des Bundespräsidenten die Schweiz besuchten, die direkte Demokratie rundweg ab.[6], [7] Das ist schon sehr entlarvend. Wolfgang Engler begründet die hohen Wahlerfolge der AfD in den neuen Bundesländern ganz richtig mit folgendem Satz: „Wenn Ostdeutschen irgendetwas wirklich nervt, zur Weißglut treibt, dann das Ansinnen, Bekenntnisformeln ohne innere Überzeugung abzuspulen. […] Loyalitätsbekundungen, die im Mund sogleich zu Asche werden, kaum dass die Lippen sich bewegen, davon hatten und davon haben sie genug.“ Der Beschluss des Bundesrates, um den Reichstag in Berlin einen Schutzwall zu ziehen, wird zwar mit „terroristischen Angriffen“ begründet. Vielmehr liegt es wohl an der Angst vor dem eigenen Volk.[8] Diese Maßnahme dürfte, wie „netzpolitik.org“ wohl richtig vermutet, die Entfremdung zwischen Politik und dem deutschen Volk weiter vorantreiben.[9]

Interessant ist auch Englers Kritik an den Linken: Sie stellten nicht nur nicht die Macht der Herrschenden infrage. „Zahlreiche Linke neuen Typs gefallen sich darin, ihre kosmopolitische, globalisierungsaffine Denk-, Sprech- und Lebensweise zur allgemeinverbindlichen zu stilisieren.“ Er verurteilt die kritiklose Unterstützung der Linken für Merkels Politik der offenen Tür und bezeichnet sie als „Pseudolinke“.

Leider konnte ich im Buch über die Ursachen der Wahlerfolge der AfD in den neuen Bundesländern, von zwei Aussagen Englers abgesehen, so gut wie nichts lesen. Das sind aber Dinge, die scheinbar den „Ostdeutschen“ wesentlich mehr interessieren als den Westdeutschen. Denn die ehemaligen DDR-Bürger hatten die Illusion, im vereinten Deutschland einen souveränen, rundherum demokratischen und weitgehend sozialen Staat vorzufinden. Stattdessen sind sie in einem Staat angekommen, wo Souveränität, Demokratie und Sozialstaat zunehmend zur Farce werden. Daraus speist sich viel Unmut.

Man mag zur AfD stehen wie man will. Ich halte es für einen großen Fehler, bei der AfD keine Differenzierung vorzunehmen. Diese Partei hatte sich in der Zusammensetzung nach den Weggang von Prof. Lucke und Frauke Petry geändert und ist Stück für Stück national-konservativer geworden. Bedenkenswert ist nur, dass der gleiche Hass auch der AfD entgegenschlug, als sie vornehmlich eine Anti-Euro-Partei war. Der Grund für den Hass lag wohl vornehmlich darin, weil die etablierten Parteien unbequeme Fragen zur Euro-Politik in der Öffentlichkeit fürchteten. Vonseiten der etablierten Parteien und der Leitmedien blies der AfD ein derartig heftiger Wind ins Gesicht, dass sie es nicht schaffte, im September 2013 in den Deutschen Bundestag zu ziehen. Sie erhielt 4,7 Prozent aller Stimmen. Hätte sie die Fünfprozenthürde überwunden, hätte die AfD möglicherweise eine andere Entwicklung genommen. Tatsache ist aber, dass die Euro-Krise „dank“ früherer Fehlentscheidungen die Menschen noch heute in Atem hält und die Niedrigzinspolitik zur Enteignung der Rentenkassen, der Sparer und Inhaber klassischer Lebensversicherungen führt… Auch wenn sich Prof. Lucke von der Politik verabschiedet hatte, dürfte es für ihn ein später Sieg sein, dass ihm das Bundesverfassungsgericht am 5. Mai 2020 Recht gab, wonach die Anleihenkäufe der EZB zumindest teilweise gesetzeswidrig sind…[10] Da die etablierten Parteien offensichtlich nicht bereit sind, die aufgezeigten Probleme zu lösen, wird es wohl zu einer Erosion der bestehenden Parteienlandschaft kommen.

Kritik an der Kritik

Das gesamte Buch ist durchzogen von AfD-Beschimpfungen, bei der sich in besonderem Maße Jana Hensel hervortut. Allerdings bleibt sie Nachweise für ihre Vorwürfe schuldig. Das ist mir zu billig. Mit ihrer Art liegt sie aber voll im Trend mit ARD, ZDF und anderen deutschen Leitmedien, die Diskussionen mit AfD-Funktionären meiden und allenfalls kurz vor den Landtags- und Bundestagswahlen zulassen. Damit soll der Anschein einer gesicherten Meinungsvielfalt gewahrt werden.

Sich pauschal über die „Ostdeutschen“, über die AfD, über Pegida und über ihre Wähler bzw. Teilnehmer aufzuregen, greift zu kurz und ist zu einem gewissen Grad auch scheinheilig, weil den Ursachen der Unzufriedenheit der Menschen nicht ernsthaft auf den Grund gegangen wird. Beide Autoren vermögen es nicht, eine tiefgreifende Analyse zu betreiben und kratzen oft nur an der Oberfläche.

Hensel und Engler über die Rolle der Leitmedien

Nach Englers Worten fällt den Leitmedien folgende Rolle zu: „Vielfalt herstellen. Dissens markieren. Den Regierenden ihr Geschäft sauer machen. Denen eine Stimme geben, die es am nötigsten und zugleich am schwersten haben, öffentlich Gehör zu finden …“ Diese Forderung steht am Ende von Kapitel II und ist irgendwie symbolisch für die Ernsthaftigkeit, mit der die Überprüfung ihrer Realisierung durch die Autoren verfolgt wurde … In der Merkel-Ära hat man oftmals schon den Eindruck, als seien die Leitmedien die Fußtruppe der Bundesregierung. Dazu weist Engler auf eine Studie aus 2006 mit dem Titel „Die Souffleure der Mediengesellschaft“ hin. Demnach orientieren sich Journalisten zu mehr als zwei Dritteln an der Meinung ihrer Berufskollegen. Sie entfernen sich immer mehr von breiten Bevölkerungsschichten. Ihre Bereitschaft, sich für die Belange sozial Benachteiligter einzusetzen, sei äußerst gering. Eine Aussage von Annette Riedel, Korrespondentin in Brüssel für den Deutschlandfunk, beim ARD-Presseclub, verdeutlicht, dass selbst zehn Jahre später dieses Problem nach wie vor aktuell ist: „Natürlich sind wir Elite. Wir sind´s einfach. Wir sind hochgradig gebildet. Wir haben einen Lebensstandard […] wo man nicht unbedingt bedroht ist durch Entwicklungen der Globalisierung …“[11] Und in Hinblick auf das Verhältnis der westdeutsch dominierten Leitmedien zu den „Ostdeutschen“ hatte Hensel als Journalistin so ihre Erfahrungen gemacht. So berichtet sie, wie oft ihr von Redakteuren der Leitmedien klargemacht wurde, dass man auf die Dauer nicht ihre „ostdeutsche“ Sichtweise in ihren Blättern haben wollte (ob sie nun wirklich eine typisch „ostdeutsche“ Meinung hat, möchte ich trotz Zweifel an dieser Stelle so stehen lassen). Wolfgang Engler macht darauf aufmerksam, dass die deutschen Mainstream-Medien nicht nur auf die „Ostdeutschen“, sondern auch auf die osteuropäischen Völker abschätzig schauen: „Der Mainstream begnügt sich mit Verurteilungen, in die sich ein gehöriges Maß an Geringschätzung für das Wahlvolk mischt. Einmal autokratisch, immer autokratisch, untauglich für den aufrechten Gang, die armen Wichte, haben´s halt nicht anders gelernt.“

Die Leitmedien und die gepflegten Klischees über die „Ostdeutschen“

Jana Hensel beklagt sich, dass deutsche Leitmedien in Zusammenhang mit Pegida immer wieder gern die Klischees von „DDR-deformierten und rassistischen Orten herausholen“. Die Realität ist noch viel schlimmer, weil bei den meisten Leitmedien pauschale Vorurteile gepflegt werden. Ich erinnere mich noch daran, als es um die Nominierung einer deutschen Großstadt zum Austragungsort der Olympischen Spiele ging. Zum Schluss blieben eine westdeutsche und eine „ostdeutsche“ Stadt übrig. Wenn ich mich richtig erinnere, waren es Hamburg und Leipzig. Plötzlich rollte eine Medienflut von Verunglimpfungen bezüglich Leipzig über das Land. Leipzig sei als Austragungsort nicht tragbar, weil es dort „No-go-Areas“ gäbe und anderes mehr. Das war gewiss keine Sternstunde deutsch-deutscher Verständigung. Gewiss, es gab und gibt in Leipzig eine Problemzone. Jeder Leipziger Polizist würde sofort den Ortsteil Connewitz nennen. Dort hat die linksextreme Antifa ihre Hochburg und treibt ihr Unwesen. Das werden aber die Medien wohl nicht gemeint haben, wie peinlich!

Von den westdeutsch dominierten Leitmedien, die besonders auf die „Ostdeutschen“ rhetorisch einschlagen, zählt in meinen Augen die „Zeit“. Sie hatte mehrere Artikel herausgebracht, wo an den „Ostdeutschen“ kaum ein gutes Haar gelassen wird, wo es Textpassagen gibt, die so skurril, so übertrieben sind, dass ich mich an den ehemaligen Spiegel-Journalisten Claas Relotius erinnert fühle. So ist in einem „Zeit“-Artikel allen Ernstes über Leipzig zu lesen: „Ich saß in den Küchen von Müttern, die fürchteten, ihre Kinder könnten nachts auf dem Nachhauseweg wieder einmal überfallen werden, weil diese es wagten, bunte Kleidung und bunte Frisuren zu tragen.“[12] Ich habe mit einigen Leipzigern gesprochen, die über solche Aussagen nur noch den Kopf schüttelten…

Wie Jana Hensel die Leitmedien aufteilt

Jana Hensel lehnt, wie zu erwarten, den Begriff „Lügenpresse“ ab. Allerdings teilt sie die Berichterstattung über die „Ostdeutschen“ in drei Kategorien ein:

  • in eine sprunghafte, statt eine kontinuierliche,
  • in eine mit ausschließender, anstelle von integrierender Absicht und
  • in eine, die von „Emotionalität statt von Sachkenntnis geprägt“ ist.

Auch ich würde die Leitmedien nicht als „Lügenpresse“ bezeichnen. Von einer „Wahrheitspresse“ oder „Qualitätspresse“ kann aber auch nicht die Rede sein. Insofern wäre es sehr spannend, wie die Autorin das von mir zuletzt genannte Beispiel einordnen würde. Pikanterweise arbeitet Hensel seit 2018 als Journalistin für die von mir gescholtene „Zeit“.

Die Rolle der „Ostdeutschen“ in den Leitmedien

Eine der Ursachen der Unzufriedenheit der „Ostdeutschen“ ist die versagte Teilhabe an maßgeblichen Entscheidungen in allen Teilbereichen der Gesellschaft. Hensel und Engler kommen zur niederschmetternden Erkenntnis: Auf die Präsenz und die Erfahrungen der „Ostdeutschen“ wird kein Wert gelegt. Als Beispiel gibt sie an: Obwohl sich vier der fünf Theater in Ostberlin befinden, wird keines von einem „Ostdeutschen“ geleitet. Die Universität Leipzig hatte 2016 hierzu eine Untersuchung durchgeführt. In Zusammenarbeit mit dem MDR entstand die zweiteilige Dokumentation „Wer beherrscht den Osten?“ mit zum Teil erdrückenden Zahlen.

Auf der Suche nach einer Anstellung bei den westdeutsch dominierten Leitmedien dürfte Jana Hensel wohl einschneidende Erfahrungen gemacht haben. Bei einer Diskussion mit einem Ressortleiter einer Tageszeitung, ob es bei einem Vorstellungsgespräch war oder nicht, sei dahingestellt, kam es zu einer hochinteressanten Aussage: Sie stellte unter anderem die Frage, weshalb es in großen Zeitungen so wenig „migrantische“ und „ostdeutsche“ Redakteure gibt. Daraufhin redete dieser Tacheles. Jana Hensel zitierte ihn: „…, ja, migrantische Stimmen bräuchte es, da gebe er mir recht. Aber auf ostdeutsche Redakteure könne man verzichten.“ Warum diese strikte Ablehnung? Die Zurückweisung speist sich wohl aus zwei Gründen: Zum einen wollen sich Westdeutsche ungern einen Spiegel vor ihr Gesicht halten lassen. Zum anderen befürchten sie, einen „Ostdeutschen“ zum Redakteur aufzubauen, dem mit großer Wahrscheinlichkeit die Begriffe Heimat, Vaterland, Nation und die Achtung des Grundgesetzes noch etwas bedeuten. Wegen dieses Bewusstseins sind auch als Fußvolk in der Bundeswehr vornehmlich „Ostdeutsche“ anzufinden. Sie haben zudem bei Auslandseinsätzen den größten Blutzoll zu leisten. Eine solche Haltung bei einem Redakteur wäre kontraproduktiv für die Verfolgung der bereits beschriebenen Agenda. Eine Bevölkerung, die zudem aus ihrer Lethargie erwacht, die die Alternativlos-Politik Merkels nicht länger ertragen will, ist nicht gewünscht. Dass das so sein muss, lässt sich anhand von zwei Begebenheiten erkennen:

  • Das Gros der Mainstream-Medien berichtet über die Vertreter der Grünen trotz ihrer sich wiederholenden antideutschen Ausfälle und ihrer Kapriolen bei Fernsehauftritten, die wenig von Fachkompetenz zeugen, begeistert, ohne jede Distanz und vollkommen unkritisch. Auch Robert Habeck bekannte sich zum Antideutschen, indem er in einem selbst geschriebenen Buch die Öffentlichkeit wissen ließ, dass er „Vaterlandsliebe stets zum Kotzen“ fand und „mit Deutschland nie etwas anzufangen“ wusste. Nach einem Interview mit dem Grünen-Chef Habeck durch den „Stern“, welches nach dem gleichen Muster ablief, wandelte die „Welt“-Journalistin Dagmar Rosenfeld einen Spruch von „parship“ um und schrieb im April 2019 bei Twitter sarkastisch: „Alle elf Minuten verliebt sich ein „Stern“-Redakteur in einen Grünen.“[13] Dieser Spruch könnte getrost auch auf Redakteure von „Spiegel“, „taz“, „Süddeutsche Zeitung“, „Die Zeit“, ARD und ZDF angewendet werden.
  • Es gibt in Deutschland durchaus Menschen, die ausländische Wurzeln und einen deutschen Pass haben und sich mit ganzem Herzen zu Deutschland bekennen. Ihnen gilt meine ganze Sympathie. Allerdings sind die Mainstream-Medien allem Anschein nach nicht auf diese Sorte von „migrantischen“ Journalisten erpicht. Denn diesen würde es das Herz brechen, zuzusehen, wie Deutschland, das Land der Dichter und Denker, bis zur Unkenntlichkeit deformiert wird. Für die Durchsetzung ihrer Agenda brauchen sie Personen, die emotionslos die Maßnahmen der Politiker gegen die Deutschen und zur Zerstörung des Nationalstaates verkünden können und/oder eine gewisse Verachtung gegenüber Deutschland und den Deutschen haben und gelegentlich rhetorisch auf „die Ostdeutschen“ eindreschen.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass der ehemalige taz-Redakteur Deniz Yücel zu dem letztgenannten „migrantischen“ Menschenschlag von Journalisten gehört. Denn in einem Artikel in der „taz“ mit der Überschrift „Super, Deutschland schafft sich ab!“ freut er sich, dass es die Deutschen bald nicht mehr geben wird: „Der baldige Abgang der Deutschen aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite.“[14] En passant teilt er gegen die „Ossis“ aus. Nachdem ein Sturm der Entrüstung über ihn hereinbrach, wurde dann so getan, als wäre es nur eine Posse. Ich glaube das nicht! Nun kommt der Clou: Als Deniz Yücel zwischen Februar 2017 und Februar 2018 in der Türkei inhaftiert wurde, setzten Mainstream-Medien alle Hebel in Bewegung, um ihn freizubekommen. Und das, obwohl er sehr übel über die Deutschen schrieb. Nun könnte man denken, deutsche Leitmedien handeln ehrenwert nach dem berühmten Spruch: „Ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“ Doch Pustekuchen! Als der deutsche nationalkonservative Journalist Billy Six im November 2018 in Venezuela inhaftiert wurde, rührten die gleichen Medien keinen Finger! Erst nachdem seine Eltern sich verzweifelt an den russischen Außenminister Sergej Lawrow wandten, kam Six sehr bald frei.

Diese Vorfälle zeigen eindeutig, wie das Gros der deutschen Mainstream-Medien tickt, warum die „Ostdeutschen“ dort keine Lobby haben und weshalb „ostdeutsche“ Journalisten dort kaum eine Anstellung finden.

Sich selbst diskreditierende Äußerungen der Autoren

Wolfgang Engler erzählt, dass er ursprünglich Abitur machen wollte. Doch dann habe er sich absichtlich dumm gestellt, weil mit dem Abitur ein dreijähriger Wehrdienst bei der NVA verbunden gewesen wäre. Sein Abitur habe er dann an einer Volkshochschule nachgeholt. Diese Aussage kann ich als ehemaliger DDR-Bürger nicht nachvollziehen. Alle Abiturplätze wurden nicht unter der Bedingung einer Selbstverpflichtung vergeben. Mädchen und Jungs mit besonders guten Noten waren davon ausgenommen. Auch, wenn die Abiturgänge nicht voll ausgebucht waren, hatte man ohne Verpflichtung eine Chance. Englers Äußerung ist daher unglaubwürdig.

Jana Hensel schrieb etwas über die Pegida, wo sie ihre Fähigkeit als Journalistin selbst diskreditiert: „Ich bin auf vielen Pegida-Märschen in Dresden mitgelaufen, ohne wirklich zu verstehen, worum es denen geht.“ Da sie in der Zeit der friedlichen Revolution 13 bis 14 Jahre alt war, hätte ich über das Nichtverstehen noch hinweggesehen. Als Journalistin hätte sie die Beweggründe der Pegida-Teilnehmer zumindest in Ansätzen verstehen müssen. Damit stellt sie sich selber ein berufliches Armutszeugnis aus.

Fazit

Das Buch erfüllt nur in Teilen, was der Titel verspricht. Bei dem Dialog, den Jana Hensel und Wolfgang Engler führen, übernahm Engler in weiten Teilen die Aufgabe des Themengebers, wobei Hensel die Rolle der Aufpasserin zufiel, damit sich das Gespräch in einem für die Leitmedien und für die Politik tolerierbaren Meinungskorridor bewegt. Jana Hensel fällt weniger durch kluge Gedankeneinwürfe auf als durch penetrante Eigenwerbung für ihre Bücher und durch ständige haltlose Beschimpfungen von AfD und Pegida.

Auch wenn die Diskussionen sich in einem bestimmten politischen Meinungskorridor bewegten, konnte Wolfgang Engler doch einige Akzente setzen. Einzig bei den Befindlichkeiten der „Ostdeutschen“ vermochte Jana Hensel etwas Licht ins Dunkel zu bringen, einen kleinen Beitrag zum Verständnis für die „Ostdeutschen“ zu leisten. Allerdings kam dieses Thema zu kurz. In weiten Teilen der Diskussion gibt es eine gewisse ermüdende Übereinstimmung der Ansichten. Beim Thema „Politische Korrektheit“ klafften sie aber weit auseinander.

Was hat nun die Verantwortlichen von ARD und ZDF bewogen, das Buch so intensiv zu bewerben? Es gibt wohl eine gewisse Seelenverwandtschaft zwischen ihnen und Jana Hensel. Dabei ist der größte gemeinsame Nenner der Realitätsverlust. Dieses Buch ist für die Verantwortlichen wohl deshalb so „sexy“, weil

  • die deutschen Leitmedien von der Kritik weitgehend verschont blieben,
  • Merkels Politik größtenteils positiv dargestellt wurde,
  • bei der Gesellschaftskritik nur an der Oberfläche gekratzt wurde und
  • die Auseinandersetzung mit AfD und Pegida nach dem gleichen verblüffenden Prinzip durchgeführt wurde, wie es die Leitmedien und die etablierten Parteien täglich vorexerzieren: Der politische Konkurrent wird beschimpft, ausgegrenzt, entmenschlicht, aber nicht mit Argumenten zur Rede gestellt.

Die Werbung diente gewissermaßen ARD und ZDF quasi als Feigenblatt dafür, dass sie sich intensiv mit den „Ostdeutschen“ auseinandersetzen.

Anmerkungen

[1] https://www.nachdenkseiten.de/?p=60673

[2] https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/parteien/id_87883326/spd-chefin-saskia-esken-loest-mit-tweet-empoerung-aus-wer-finanziert-jetzt-wen-.html

[3] https://www.welt.de/wirtschaft/article205730777/Wer-statt-Mario-Draghi-das-Bundesverdienstkreuz-wirklich-verdient-haette.html

[4] https://www.nzz.ch/wirtschaft/mario-draghi-erhaelt-bundesverdienstkreuz-warum-das-falsch-ist-ld.1537739

[5] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Interviews/2016/160619-Bericht-aus-Berlin-Interview.html

[6] https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/Gauck-warnt-vor-der-direkten-Demokratie/story/25651167

[7] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/volksabstimmungen-bundespraesident-steinmeier-gegen-direkte-demokratie-auf-bundesebene/21217488.html?ticket=ST-68549565-ynSrzCtWWTej2C27bHk0-ap6

[8] https://www.morgenpost.de/bezirke/mitte/article228419835/Schutzgraben-vor-dem-Reichstag-wird-groesser-als-gedacht.html

[9] https://netzpolitik.org/2019/burggraben-mauern-zaeune-der-bundestag-schottet-sich-ab/

[10] https://www.spiegel.de/wirtschaft/ezb-programm-bundesverfassungsgericht-sieht-anleihenkaeufe-als-teilweise-verfassungwidrig-a-376ab4e4-a8e5-4eab-b563-a9420cdad41b

[11] https://www.youtube.com/watch?v=1i9d08DkoO4&list=PL6B3FCDFE971139C8&index=71&t=0s ab Minute 55:49

[12] https://www.zeit.de/2018/14/leipzig-heimat-zugezogen-ostdeutschland-probleme

[13] https://twitter.com/rosidaggi/status/1119015619402305536

[14] https://taz.de/Kolumne-Geburtenschwund/!5114887/

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