Sie gendern, um zu herrschen

Von Rüdiger Stix

Jedermann weiß, dass die sogenannte Gendersprache aus linguistischer und soziologischer Sicht unsinnig und nicht praktikabel ist. Sogar deren Befürworter. Wie ein aktueller Artikel in der FAZ[1], der das „durchgegenderte“ Wahlprogramm der Grünen analysiert, zeigt, ist Gendersprache falsch, weil sie das generische Maskulinum (wie bei Polizist und Mond) genauso ignoriert wie das generische Femininum (wie bei Amsel und Ente, markiertes Maskulinum: Enterich).

Der Grund für die Propagierung von Gendersprache ist nicht die Beförderung der Gleichberechtigung, sondern die Verfestigung von Herrschaft mit Hilfe der Sprache (Friedrich Lang).

Die generische Verwendung der Wortform eines Geschlechts dient der Sprachökonomie. Sprachökonomie ist essenziell, weil Sprechen die potenteste Form des Handelns ist, der sich Menschen bedienen können. Ein Satz kann Hunderttausende töten, wie der Befehl des Einsatzes der Atombomben über Hiroshima und Nagasaki. Ein Wort kann entscheidend sein, wie beim dringlichen Aussprechen einer Warnung. Ohne Sprachökonomie wäre keine effiziente Kommunikation möglich.

Daher sparen wir in der Sprache ständig Worte ein, durch implizite Bedeutung, durch Mehrdeutigkeit, durch ergänzende Mimik und Gestik, aber auch durch Abstraktion und eben generische Wortformen. Sprachökonomie ist nicht nur für die Alltagssprache unabdingbar, sondern auch für Fachsprachen, wie die Sprache auf der Intensivstation („Defi max!“ [„Führen Sie eine Defibrillation des Herzens mit maximaler Leistung aus!“]) oder in der Luftfahrt, und auch für sakrale Sprache oder Sprache in der Kunst, etwa in der hochverdichteten Sprache der Lyrik. Ohne Sprachökonomie gäbe es keine Intersubjektivität, keine Verständigung zwischen den Menschen und keine Kultur, die uns von den Tieren unterscheidet.

Dysfunktionale Gendersprache

Weil durch die Mehrdeutigkeit, die die Sprachökonomie mit sich bringt, kein Satz ohne Kontext verstanden werden kann, benötigen wir umfassenden Kontext, um Sätze oder längere Sprechakte im Sinne des Sprechers zu verstehen. Beispielsweise enthält der Satz – Von Paris müssen wir vor Einbruch der Nacht in Abbeville ankommen – Personendeixis (Wer sind wir? – Sprecher und Zuhörer), vier temporale Referenzen, nämlich implizites Präsens und drei in der Zukunft (die Zeitpunkte der Ankunft in Paris, in Abbeville und des Einbruchs der Nacht) sowie drei Verweise auf Orte, nämlich den Standort des Sprechers (implizit) sowie Paris und Abbeville (explizit). Je nach Ort des Sprechers kann es sich um die Hauptstadt von Frankreich und eine Stadt in der Normandie oder um die Orte Paris, Texas und Abbeville, Louisina in den USA handeln. Für den Sprecher und seinen Zuhörer jedoch ist der Satz glasklar, weil diese alle Referenzen und impliziten Bedeutungen sofort und unbewusst entschlüsseln.

Doch durch die Gendersprache verliert die Sprache ein wesentliches Element ihrer effektiven Verwendung, die geschlechtlich generischen Wortformen. Wie Horst Haider Munske erläutert, werden dadurch nicht nur in Komposita wie „bürger*innennah“ oder „Unterstützer*innenkreis“ den „Bestimmungsgliedern die Eigenschaften einer grammatikalischen Kategorie“ beraubt, was zu agrammatikalischen Sätzen führt. Vielmehr wird auch jegliche Sprachverwendung mit Singular unmöglich, es kommt zu Unsätzen wie „Die/der diensthabende Polizist*in soll sich sofort bei der/dem Vorgesetzte*(n) melden“. Bei dem Beispiel ist auch keine grammatikalisch ebenfalls widersinnige Partizipialkonstruktion, die Gendersprecher zur Vermeidung des Genus wie bei „Studierenden“ verwenden, möglich, man kann nicht „Vorgesetztenden“ sagen.

Deshalb, so beobachtet Munske, verwendet das Parteiprogramm der Grünen auch keinen Singular. Dies mag in einem Dokument der kollektiven politischen Ideologie dieser Partei möglich sein, aber nicht in der Lebenswirklichkeit der Bürger. Durch die Vermeidung des Singulars zeigen die Grünen, dass auch sie wissen, dass die Gendersprache nicht funktioniert. Keiner der Autoren des Parteiprogramms würde in einer Notsituation oder unter echtem Druck Gendersprache verwenden.

Warum also die Gendersprache?

Wenn die Gendersprache nicht funktionieren kann, warum wird sie dann propagiert? Das Hauptargument der Befürworter besteht darin, dass die natürliche Ausprägung der geschlechtsgenerischen Wortformen Machtstrukturen zum Ausdruck bringe. Beispielsweise bringen sie vor, dass alle beruflichen Funktionen mit dem generischen Maskulinum gebildet werden (wie Richter, Soldat, Lehrer). Dies sei Ausdruck einer patriarchalischen Gesellschaft, die die Frauen unterdrücke.

In der Tat haben Frauen in der abendländischen Entwicklung erst spät die Rechte als Vollbürger erhalten, die Männer in den USA bereits 1776 und in einigen Kantonen der Schweiz bereits 1830 bekamen. Es dauerte in Europa allerdings noch lange, bis auch nur alle Männer die Rechtsgleichheit (Isonomie) erhielten, erst gegen Ende dieses Vorgangs erhielten auch Frauen diese Rechte. Bis in das 20. Jahrhundert hinein waren in weiten Teilen Europas nicht alle Männer vor dem Gesetz gleich.

Seit mehr als zwei Generationen leben wir aber in einer Gesellschaft, die Frauen die gleichen Rechte gibt wie Männern, von einer Unterdrückung der Frauen kann in den meisten Ländern Europas keine Rede mehr sein. Heute besetzen Frauen oberste Machtpositionen in der Exekutive, der Legislative und der Judikative, aber auch in Parteien, der Wirtschaft und in Verbänden. In prestigeträchtigen Berufen, die ehemals Männern vorbehalten waren, wie etwa der Arztberuf, dominieren sie mittlerweile.

Verfestigung von Herrschaft mit Hilfe der Sprache

Diese Entwicklung der Emanzipation der Frauen und ihres erfolgreichen Kampfes und ihrer Rechtsgleichheit vollzog sich weitgehend ohne Änderung des Sprachgebrauchs, was zeigt, dass die geschlechtsgenerischen Wortformen nicht Ausdruck der Unterdrückung durch Sprache, sondern der Sprachökonomie sind. Außerdem erlaubt unsere Sprache die Verwendung geschlechtsspezifischer markierter Wortformen wie bei „Richterin“ oder „Bundeskanzlerin“, wenn das erforderlich ist. Doch die meisten Feinheiten werden nicht durch die Wahl der Wortformen, sondern durch die hochkomplexe Kombination der zahlreicheren Ebenen der Sprachgestaltung zum Ausdruck gebracht.

Der wahre Grund für die Propagierung von Gendersprache ist nicht die Beförderung der Gleichberechtigung oder die Abschaffung von über Sprache ausgeübter Macht, sondern die Verfestigung von Herrschaft mit Hilfe der Sprache. Wie funktioniert das?

Die Verwendung von Gendersprache ist ein Indikator für die Zugehörigkeit zu einer neuen Herrschaftsschicht. Wer sich dieser künstlichen, dysfunktionalen Sprache bedient, zeigt seine Distinktion und seine Fähigkeit, den Code der Eliten zu beherrschen. Gleichzeitig führt die Unfähigkeit, Gendersprache zu verwenden, zur ungewollten Selbstkennzeichnung der nicht den Eliten zugehörigen Gruppen. Erst recht führt die aktive Verweigerung der Verwendung von Gendersprache durch sprachmächtige, gebildete Sprecher zur Autostigmatisierung. Beispielsweise verweigern zahlreiche Autoren und Journalisten diese dysfunktionale Sprachform, weil sie sich nur mit Hilfe natürlicher Sprache effektiv und effizient ausdrücken können oder weil sie zum Ausdruck bringen wollen, dass sie diese Form obrigkeitlicher Sprache ablehnen.

Gendersprache als Usurpationssymptom

Gleichzeitig wird Gendersprache fast immer zusammen mit der Sprache der „political correctness“ verwendet. Diese Sprache, die bestimmte spontan entstandenen Lexeme und idiomatische Wendungen zu verbieten und durch Neologismen zu ersetzen trachtet, hat formal eine ähnliche Funktion wie die von Victor Klemperer untersuchte Lingua tertii imperii („Die Sprache des Dritten Reiches“) oder die Sprache der Kommunisten, die George Orwell aus eigener Anschauung als Exkommunist (er kämpfte auf deren Seite im Spanischen Bürgerkrieg) kannte und in „1984“ überspitzt dargestellt hat.

Solche mit Sprachverboten, Neologismen und plakativen, oft propagandistisch eingesetzten neoidiomatischen Wendungen und Slogans durchsetzte künstlichen Sprachen dienen immer der Etablierung oder dem Erhalt einer usurpatorischen Ordnung. Usurpatorische Ordnungen sind willkürliche Machtverhältnisse, die von einer kleinen Gruppe auf Kosten der Allgemeinheit durchgesetzt werden, indem etablierte Machtverhältnisse überwunden werden. Sind die Usurpatoren Revolutionäre, ergreifen sie wie Napoleon, Lenin oder Hitler mit Gewalt die Herrschaft. Ihre von Kraftausdrücken, Akronymen und Gewalthuldigung strotzende Sprache ist für ihren Herrschaftsanspruch und -stil charakteristisch.

Eine Usurpation kann aber auch ohne oder mit wenig Gewalt durchgeführt werden. Beispielsweise achtete Kaiser Augustus bei seiner Usurpation der römischen Republik und deren Umwandlung in das Prinzipat peinlich genau darauf, den Schein der Republik mit Hilfe von Pseudoinstitutionen zu wahren. Die Senatoren und andere Gruppen der ehemals republikanischen Eliten konnten sich weiterhin der Illusion hingeben, noch an der Macht beteiligt zu sein.

Im „stählernen Gehäuse der Hörigkeit“ eingerichtet

Heute vollzieht sich die Machtergreifung der globalen Eliten ebenfalls schleichend, sie kommt im Gewand der alten rechtsstaatlich-republikanischen Ordnung daher. Wir erleben, wie auf der Basis einer historisch immer noch neuartigen massiven Produktivität, die zwischen 1800 und 1970 erst exponentiell, dann linear (mit abnehmender Dynamik) gewachsen ist, bevor das Wachstum der Produktivität vor gut zehn Jahren im Wesentlichen zum Erliegen kam, eine schleichende Usurpation stattfindet, bei der unsere Institutionen und staatlichen Normen langsam erodiert werden und ihren essenziellen Kern verlieren.

Die schleichende Usurpation ist nur wegen des hohen Wohlstandsniveaus und der sehr hohen Versorgungssicherheit der Bevölkerung möglich. Wäre die Produktivität nicht so hoch, könnten usurpatorische Akte wie die Massenmigration oder die willkürliche Ausrufung einer Pandemie mit massiven Repressionen nicht durchgesetzt werden. Die Menschen nehmen es hin, weil sie panem et circenses (Versorgung und Unterhaltung) haben.

Eine weitere Voraussetzung für die stille Usurpation, die wir erleben, ist die Notwendigkeit staatlicher Institutionen, auf den durch die industrielle Revolution massiv beschleunigten sozialen Wandel aktiv zu reagieren – der Wandel ist seit über 100 Jahren so schnell und so umfassend, dass eine spontane gesellschaftliche Reaktion darauf nur partiell wirken kann. Dieser Prozess hat den Staat viel mächtiger gemacht als vor der Industrialisierung und hat zu einer umfassenden Durchdringung gesellschaftlicher Prozesse mit bürokratischen staatlichen Aktivitäten geführt.

Die Menschen haben sich im „stählernen Gehäuse der Hörigkeit“ eingerichtet, die Durchdringung aller Lebensbereiche durch den Staat akzeptiert und seine Autorität verinnerlicht, sie identifizieren sich mit dieser Form der Herrschaft. Die Usurpation greift nun für viele Menschen unmerklich auf dieses dichte Geflecht von Staatlichkeit und tief verwurzelter Loyalität der Bürger gegenüber dem Staat zurück. Herrschaft ist dadurch breiter und umfassender verwurzelt als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Die befördert das Werk der Usurpatoren.

Das Sprachregime der Gendersprache und der „political correctness“ sind lediglich kulturelle Symptome dieses politischen Prozesses. Interessanterweise wird die Usurpation, die vielen Menschen in anderen Bereichen nicht bewusst wird, für eine ganz breite Mehrheit der Menschen im Bereich der Sprache (70 bis 80 Prozent der Bevölkerung lehnen Gendersprache ab) sichtbar und erlebbar. Sie wehren sich, indem sie sich das wichtigste Instrument ihres Handelns nicht vom Staat vorschreiben lassen.

Wie Sprachen entstehen und sich entwickeln

Denn intuitiv wissen die Bürger, dass ihre Sprache spontan entstanden ist und sich nur autonom wandelt und entwickelt. Sie ist Ausdrucksform und Kommunikationsmittel sozialer Normen. Sprache ist eine der grundlegendsten sozialen Normen, die viele andere Normen erst ermöglicht. Alle sozialen Normen, über die wir verfügen, die höhere Säugetiere aber nicht haben, sind sprachgebunden. Dazu gehören viele implizite, nicht kodifizierte Verhaltensnormen wie subtile Höflichkeits- und Verhaltensregeln, die nur über Sprache vermittelt werden können, aber auch alle in Sprache gefassten expliziten sozialen Normen wie das Recht oder die Zehn Gebote.

Sprachliche Innovationen können im Volksmund entstehen und sich dann in der gesprochenen und geschriebenen Sprache ausbreiten. Sie können auch von Dichtern und Denkern geschaffen werden und sich über die Eliten dann in den lebendigen Sprachkörper hineinarbeiten. Viele idiomatische Wendungen und Sprichworte sind so entstanden, beispielsweise aus Luthers Bibelübersetzung, der Schlegel-Tieck’schen Shakespeare-Übersetzung oder aus Goethes Faust. Doch auch die Verbreitung von solcher Hochsprache ist ein spontaner Prozess, der nicht gesteuert werden kann. Niemand versteht wirklich, wie das geht; die Entwicklung der Sprache durch die Sprechergemeinschaft ist ein System komplexer Systeme.

Vorgeschriebene herrschaftliche Sprache wie Gendersprache oder die Sprache der „political correctness“ haben genauso wenig Chancen, sich spontan zu erhalten wie die lingua tertii imperii oder die Polit-Sprache der DDR mit ihren absurden Abkürzungen wie „Diamat“ (dialektischer Materialismus) oder Slogans wie „Der Sozialismus wird siegen, weil er die Wahrheit ist“. Politische Kunstsprachen sind schon tot, während sie von Angehörigen der politischen Eliten oder ihren weisungsgebundenen Beamten im Zenit der Herrschaft gesprochen und geschrieben werden. Jeder kann diese Sprache dekodieren und ihre Verlogenheit, Hohlheit und Falschheit entlarven. Der Volksmund macht das durch Ironie, Begriffsumkehr (ein politisch korrekter Ausdruck wie „Behinderter“ wird zum Schimpfwort gemacht), Nichtbeachtung oder Satire und Spott („Frauofrau statt Mannomann?“ – F. Merz).

Es ist schmerzhaft, diese verlogene, das Sprachgefühl verletzende und die Freiheit des Ausdrucks hindernde anmaßende Herrschaftssprache lesen und hören und als Staats- oder Konzernangestellter mittlerweile auch sprechen und schreiben zu müssen. Doch es ist undenkbar, dass dieser menschenfeindliche Unsinn sich auf die Dauer halten kann. Keine Usurpation hält sich lange, und keine lingua tertii, quarti oder quinti imperii kann dauerhaft bestehen.

Wenn Ihnen dieser Artikel besonders gefallen hat, können Sie uns gern eine kleine Spende überweisen: An die Genius-Gesellschaft für freiheitliches Denken, Wien, IBAN: AT28 6000 0000 9207 5830 BIC: OPSKATWW. Auch über kleine Beträge wie € 20,– freuen wir uns und sagen ein herzliches Dankeschön.

Anmerkung

[1] https://zeitung.faz.net/faz/politik/2021-07-22/278d28edb1775454db2f7dbeb6735ee8/?GEPC=s5

Bildquelle:

  • sharon-mccutcheon-IDxuUey3M5E-unsplash: Sharon McCutcheon via Unsplash

About the author

de_ATGerman