Buchbesprechung: „Die Machtelite“

Buchbesprechung von Mathias Holweg

So wie das Buch „Propaganda“ von Edward Bernays als Grundlagenwerk für Öffentlichkeitsarbeit (Publik Relation) gilt, ist sinngemäß das Werk „Die Machtelite / The Power Elite“ von C. W. Mills das Grundlagenwerk der Soziologie und da der Machtstrukturdarstellung am Beispiel der Gesellschaft der Vereinigten Staaten von Nordamerika beginnend um die Unabhängigkeitserklärung bis 1956. Es hilft beim Verstehen wie empirische Soziologie arbeitet und wie sich Machtstrukturen am Beispiel VSA und in Europa nach 1945 welches von den Konzernen und Werten der VSA immer mehr gestaltet wird.

C. W. Mills beschreibt die Struktur der amerikanischen Gesellschaft von ihrem Beginn um 1786 über das 19. Jhdt. bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts in Kapiteln: Gehobene Kreise / Die Oberschicht der Provinzstädte / Die oberen 400 der Metropolen / … / Superreiche / Topmanager / Konzernreiche / Kriegsherren /… / Die Machtelite / Massengesellschaft / Konservative Geisteshaltung / Die höhere Unmoral. Eine Entwicklung, die einzigartig ist, indem sie über mehr als 200 Jahre ohne nennenswerte Zusammenbrüche oder Existenzkrisen erfolgt, wie sie in Europa die Regel waren. Das erklärt auch die gestalterische Kraft, die aus der amerikanischen Welt ab dem 2. europäischen Krieg dieses zerstörte Europa gestaltet und eine gleichartig strukturierte Elite einführt nach eigenem Muster. Was Mills in seinem Grundlagenwerk beschreibt ist der Wandel der Entscheidungsstrukturen weg vom demokratischen Prozess zur Welt der Funktionseliten in den Bereichen Konzerne, Militär(-Wirtschaft), Politik unter Verwendung der Medien zur Gleichschaltung der öffentlichen Meinung, wie sie in unseren Tagen so ausgereift besteht. Die Aktualität von Mills auch für unsere Gegenwart wird beispielsweise bei seiner Beschreibung der Methoden der Steuerminimierung der Kapitaleigner und Manager der Konzerne, die diesen Männern einen besonderen Wettbewerbsvorteil gegenüber den KMU‘s und Lohnabhängigen beschert. Das erklärt auch den aktuellen hier in Europa stattfindenden Strukturwandel in den Eigentumsverhältnissen hin zu immer mächtigeren, wenigeren Männern, die in der Öffentlichkeit kaum sichtbar sind.

Mills dokumentiert weiter detailliert den Wandel der Kommunikation und Entscheidungsfindung, ausgehend von der „Öffentlichen Gesellschaft“ in den jungen Staaten auf Ebenen lokaler Gemeinschaften, beginnend hin zum Individuum in anonymer „Massengesellschaft“ wie es nach Urbanisation des Großteils der Bevölkerung und gleichzeitig gewaltig gewachsener Einwohnerzahl in den 1950er-Jahre kommt. Am Beginn steht klassische Demokratie, weil es einen Austausch auf Augenhöhe unter den Personen des lokal strukturierten öffentlichen Lebens gibt, wobei die Akteure meist eine umfassende Bildung haben und sich kaum auf spezielle Kenntnisse und Aufgaben beschränkt sehen. Mit der Entwicklung der Unternehmen zu immer größeren Einheiten mit wachsender Kapital- und Ertragskraft kommt es zu einer langsamen Abkopplung der Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik von lokalen „Öffentlichkeiten“. Diese Entkopplung wird unterstützt und ermöglicht durch die neuen (Massen) Kommunikationsmittel Zeitung, Rundfunk, Fernsehen, heute auch Internet.

Ausgehend von Dialogen in der „Öffentlichen Gesellschaft“ wandelt sich die Kommunikation in einen Monolog von den ganz wenigen Öffentlichkeitsarbeitern in kapitalfinanzierten Medien hin zu den einzeln existierenden Menschen in Massengesellschaft als Empfänger dieser Informationen. Unter den Individuen der Massengesellschaft kommt es immer weniger zu einem Austausch von Meinung und Bewertung von Entscheidungen und Geschehnissen. Deren persönliche Erfahrungen sind meist nur punktuell und ungeeignet, sich nicht in der Lage die Erzählungen der „Berichterstatter“ auf Plausibilität zu überprüfen. Eigene Beurteilung (Wissen) verschwindet und wird durch Glaubenswahrheit ersetzt (siehe aktuell in der „Coromanie“).

Parallel zum Kommunikationswandel findet auch eine Abkopplung der Entscheidungspersonen weg von lokaler Politik, Öffentlichkeit und Betrieben hin zu den oberen 100, 400, 4.000, … in den Konzernen und der vom lokalen Bezug abgehobenen nationalen Politik in den Metropolen und in Regierung. Ab Beginn des 2. europäischen Krieges kommen zum bisher entstehenden Konzern/Polit-Komplex die bis dahin unbedeutenden Führungsetagen des Militärs und entstehender Militärwirtschaft zu den Entscheidungsgruppen dazu. Die Gesellschaft kommt nach 1945 nicht mehr aus dem Kriegsmodus Stichwort – Kalter Krieg, Staatsstreiche und Interventionen zur Sicherung amerikanischer Wirtschaftsinteressen – heraus. Staatliche Entscheidungen werden immer mehr durch „Sachzwänge“, neuerdings „Alternativlosigkeit“ der Weltpolitik und nationalen Sicherheit bestimmt und immer weniger von den gewählten Personen der demokratischen Gremien. Diese wandeln sich zu Erfüllungsgehilfen des Machtapparates.

Mills beschreibt sehr anschaulich die wachsende Vernetzung von Konzernwirtschaft mit Politik und Militär bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts, die aber bis heute weiterläuft. Zusätzlich zeigt er auch eine bis heute existierende Facette des Reichtums und des gigantisch gewordenen Einkommens von Kapitaleignern und Management, sowie den personellen Austausch innerhalb der Bereiche der Machtelite von Konzernwirtschaft, Politik, Militär, Medien und den Umstand, dass es für Konzerne und deren Manager immer weniger notwendig ist, den für alle anderen Menschen geltenden Steuersatz auf Einkommen zu entrichten. Ein Umstand, der heute auch in EU-Europa Standard ist, periodisch thematisiert, aber nie gelöst wird. Insgesamt ist dieses Grundlagenwerk aus dem Jahr 1956 ein hervorragender Einstieg in das Verständnis soziologischer Zustände gerade heute und wie diese ermittelt werden können. Mills zeigt den kontinuierlichen Aufstieg der Machtelite, die immer mehr Entscheidungen vorwegnimmt und Wahlen immer weniger Einfluss auf das Geschehen haben. Ein Zustand, der heute im ganzen Westen Normalität geworden ist.

Eine vergleichbare Darstellung der Machtstrukturen in den anderen großen Gesellschaften unserer Welt wie in China, Indien, Russland usw., die bedeutend jünger sind, gibt es in so gut aufgefächerter Form nach meinem Kenntnisstand nicht. Alle neueren Arbeiten der Soziologie und Eliteforschung im Westen bauen auf die Methoden von Mills auf und nehmen Bezug auf seine Vorgaben. Die Zustände der Gesellschaften der heutigen westlichen Wertewelt werden von Mills klar herausgearbeitet und geben seinem Werk aus dem Jahr 1956 einen topaktuellen Bezug.

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