Von Gerulf Stix
Der Wirbel im fernen Kasachstan hat scheinbar wenig mit dem Wirbel um die Ukraine vor unserer Haustüre zu tun. Gerade deswegen sollten wir Kasachstan beachten. Dieser erst seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion selbständige Staat ist gemessen an seiner Fläche immerhin gut siebeneinhalb mal so groß wie Deutschland und gut 32 Mal so groß wie Österreich. Zuvor war Kasachstan Teil der Sowjetunion, was sich in seiner Bevölkerung von derzeit 19 Millionen widerspiegelt: Nur rund 65 % davon sind ethnische Kasachen, fast ein Viertel hingegen, nämlich rund 23 %, ist russischer Abstammung. Dementsprechend sind Kasachisch und Russisch Staatssprachen. Für zwei Drittel der Bevölkerung ist der Islam die maßgebliche Religion. Daher muss Kasachstan auf die überall agierende IS-Bewegung besonders achten, obwohl es nicht direkt an Afghanistan, wo der IS eine Untergrundbewegung darstellt, grenzt. Andrerseits verbindet Kasachstan eine lange Grenze mit China, spielt daher eine wichtige Rolle in dessen Plänen für eine neue Seidenstraße. Zu allem Überfluss besitzt dieses zentralasiatische Land auch enorme Rohstoffvorkommen, von Erdöl und Erdgas über Eisenerz und Mangan bis zu Seltenen Erden und Uran. Somit kommt Kasachstan in den Augen aller nach Weltgeltung strebenden Mächte eine Art Schlüsselrolle zu.
Die Unruhen im scheinbar stabilen Kasachstan
Es nimmt daher nicht Wunder, wenn manche Meldungen behaupten, dass hinter den jüngsten Unruhen in Kasachstan westliche Drahtzieher stünden. Es wäre nur logisch, würden westliche Geheimdienste in einem Land zwischen Russland und China zündeln. Doch sind einerseits die Teuerungen in der Lebenshaltung und andererseits der Machtkampf unter den Herrschenden genügend Grund, um die Bevölkerung auf die Straße zu treiben. Andererseits zeugt die Härte, mit der die Unruhen niedergeschlagen wurden, von dem Willen der autoritären Machthaber, das Land unter allen Umständen fest im Griff zu behalten. Bemerkenswert war das rasche Gesuch um Hilfe bei den Bündnispartnern Kasachstans. Russland reagierte sofort, zog aber schon nach kurzer Zeit seine Truppen aus dem gewaltsam befriedeten Land wieder zurück. Im russischen Hinterhof musste rasch wieder Ruhe herrschen! Russland braucht den Rücken frei für Putins ehrgeizige Pläne in Sachen Ukraine und Weißrussland.
Das gefährliche Pokerspiel um die Ukraine
Denn seit dem Fiasko der USA in Afghanistan und der Anlehnung des weißrussischen Diktators Lukaschenko an „Brüderchen Russland“ haben sich die äußeren Umstände für Putins ehrgeizige Pläne günstig entwickelt. Putin plant, an die frühere Größe der Sowjetunion in neuer Form wieder anzuknüpfen. Zumindest will er die Ausdehnung der NATO in Bereiche des früheren Warschauer Pakts, was tatsächlich geschehen ist, stoppen. Das Noch-nicht-NATO-Mitglied-Ukraine ist hier der harte Kern des Problems. Russland will eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine verhindern. Doch um welchen Preis?
Seit vielen Tagen wird von einem russischen Angriff auf die Ukraine und von „harten Sanktionen“ des Westens gesprochen; nicht gesprochen wird von einer militärischen Antwort des Westens, was ja eine wirklich „harte Sanktion“ wäre. Auch erscheinen die russischen Truppenaufmärsche an Teilen der ukrainisch-russischen Grenze viel zu schwach für einen geplanten Angriff auf die gesamt Ukraine. Ungefähr das Zehnfache würde aus militärischer Sicht vermutlich zu großer Besorgnis Anlass geben. Was wirklich zwischen den USA und Russland gesprochen wurde und wird, wissen wir nicht. Das Ganze erinnert an ein Pokerspiel, allerdings hier an eines mit unter Umständen tödlichem Ausgang. Zwischen dem schwachbrüstigen US-Präsident Biden, der eine schwächelnde Weltmacht repräsentiert, und einem ehrgeizigen Putin, der die Zeit für seine sich langsam erholende, gedemütigte Weltmacht Russland gekommen sieht, wird zu Lasten Europas hart gepokert. Dass der bundesdeutsche Vizeadmiral Kay-Achim Schönbach gehen musste, weil er entgegen der offiziellen Sprachregelung in Sachen Krim die Wahrheit aussprach, spricht Bände. Und dass Finnland, bisher kein NATO-Mitglied, auf einmal vielleicht doch der NATO beitreten will, zeigt die Angst, die in osteuropäischen Ländern umgeht.
Natürlich will Russland die Ausdehnung der NATO stoppen, aber es wird wohl keinen großen Angriffskrieg zur Vernichtung der Ukraine deswegen starten. Ein bisschen Krim da, ein bisschen Donbass dort und vielleicht noch das eine oder andere Stückchen Ukraine im Grenzgebiet zu Russland reichen doch auch fürs Erste? Da könnte Washington vielleicht sogar mitspielen, jedenfalls seinen nach außen lautstark erklärten Willen unterstreichen, den Staat Ukraine insgesamt zu verteidigen. Die Verlegung von ein paar Tausend nordamerikanischer Soldaten in den Osten Europas überzeugt nicht wirklich in jeder Hinsicht. Russland könnte sich überdies an Weißrussland anlehnen, jedenfalls dessen Territorium in militärische Überlegungen mit einbeziehen. Die seit Jahren gemeinsamen Militärübungen von Russland und Bjelorussland unterstreichen das. Lukaschenkos gegenwärtig leicht erklärbares Anlehnungsbedürfnis an Moskau könnte somit auch die Nordgrenze der Ukraine für diese unsicher machen. Ein höchst gefährliches Spiel!
Wie immer man die Sache auch drehen mag, die Ukraine bleibt ein umkämpfter Staat. Dass sich dieses Drama vor unserer Haustüre abspielt, macht es für uns besonders schlimm. Das Europa der EU hat dabei, wie wohl jedermann erkennen kann, nichts zu vermelden. Die deutsche Außenpolitik vollzieht sich nur nach außen hin souverän, in Wirklichkeit marschiert sie im Schlepptau der USA. Das wird sich auch unter der neuen Ampel-Regierung in Berlin nicht ändern.
Wenn Ihnen dieser Artikel besonders gefallen hat, können Sie uns gern eine kleine Spende überweisen: An die Genius-Gesellschaft für freiheitliches Denken, Wien, IBAN: AT28 6000 0000 9207 5830 BIC: OPSKATWW. Auch über kleine Beträge wie € 20,– freuen wir uns und sagen ein herzliches Dankeschön.
Bildquelle:
- sebastian-kurpiel-RClroVNCPfU-unsplash: Sebastian Kurpiel via Unsplash